2.1.4 Diagnostik am vorgeburtlichen Leben
Die PND entwickelte sich Ende der 1960er Jahre und wurde 1975 in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen. Dabei wird zwischen konventionellen, nicht-invasiven und invasiven Methoden unterschieden. Zu den konventionellen PND gehört z. B. das Abhören der kindlichen Herztöne. Zu den nicht-invasiven Methoden zählt der Ultraschall (Sonografie), wobei im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien drei Sonografien für jede Frau während ihrer Schwangerschaft vorgesehen sind, die von den Krankenkassen bezahlt werden (1.: zwischen 9. und 12. Woche, 2.: zwischen 19. und 22. Woche, 3.: zwischen 29. Woche und 32. Woche). Zu weiteren nicht-invasiven Methoden zählen der Bluttest (Untersuchung von fetalen Zellen im Blut der Mutter), die Amnioskopie (Fruchtwasserspiegelung) und die Nackenfaltenmessung (Messung der kindlichen Nackenfalte zur Feststellung des Risikos für eine z. B. Trisomie 21 oder Erkrankungen wie Herzfehler). Beim Ersttrimester- oder Frühscreening wird aus den Ergebnissen des Ultraschalls, des Bluttests und dem Alter der Schwangeren das Risiko für eine Behinderung des ungeborenen Kindes errechnet.
Zu den invasiven Methoden zählen die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) und die Chorionzottenbiopsie (gewebliche Untersuchung des fetalen Gewebes). Diese PND werden vor allem eingesetzt, wenn die Schwangere älter als 35 Jahre ist, wenn die sonografischen Befunde verdächtig oder die Paare erblich belastet sind. Wird eine Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie zwischen der 14. und 26. Schwangerschaftswoche vorgenommen, besteht ein Fehlgeburtsrisiko von einem halben bis einem Prozent. Werden diese Untersuchungen vor der elften Schwangerschaftswoche eingesetzt, ist das Abortrisiko deutlich höher.
Zu den Zielen der PND gehören neben dem Erkennen von Störungen der embryonalen und fetalen Entwicklung die Gewährleistung einer optimalen Behandlung der Schwangeren und des ungeborenen Kindes. Der gezielte Einsatz der PND kann eine lebensrettende und geburtsvorbereitende Maßnahme für den Fötus sein, wenn daraufhin etwa notwendige intrauterine Therapieformen (z. B. Bluttransfusionen aufgrund bestehender Blutarmut des Fötus) eingeleitet werden. Zudem sollen Befürchtungen und Sorgen der Schwangeren minimiert und den werdenden Eltern soll bei der Entscheidung über Fortsetzung oder Abbruch der Schwangerschaft geholfen werden. Wird eine Erkrankung oder Behinderung diagnostiziert, muss dies nicht zwangsläufig zur Abtreibung führen. Das frühzeitige Wissen kann den werdenden Eltern auch Zeit geben, um sich auf die Geburt eines kranken oder behinderten Kindes vorzubereiten. Die PND soll laut Bundesärztekammer hingegen nicht angewendet werden, um Aussagen ohne Krankheitswert, etwa äußerliche Merkmale, zu treffen.
Im Rahmen einer medizinisch assistierten Fortpflanzung bietet sich auch die Möglichkeit der PID. Dabei werden sogenannte totipotente Zellen (Vier- bzw. Achtzellstadium), die sich zu einem Individuum entwickeln können, vor dem Transfer in die Gebärmutter z. B. auf Veränderungen im Erbmaterial untersucht. Veränderte Chromosomensätze treten etwa beim Klinefeltersyndrom auf und gehen mit einer Veränderung des äußerlichen Erscheinungsbildes (Patienten sind z. B. männlich, haben aber ein doppeltes X-Chromosom und ein weibliches Erscheinungsbild), Organfehlbildungen und mentalen Entwicklungsverzägerungen einher. Veränderungen im Erbmaterial zeigen sich entweder nach der Geburt (z. B. Herzfehler, Albinismus) oder können sich im Laufe der Kindheit oder im Erwachsenenalter entwickeln (z. B. Chorea Huntington). Ziel der PID ist, nur die Embryonen zu transferieren, die keine genetischen Veränderungen aufweisen und die anderen zu verwerfen bzw. zu vernichten. Entwickelt sich nach dem Transfer des Embryos eine Schwangerschaft, wird das Kind vermutlich nicht erkranken. Da die PID in Deutschland verboten ist, wird hier eine Biopsie im Blastozystenstadium vorgeschlagen.
In den Richtlinien der Bundesärztekammer über die Durchführung der assistierten Reproduktion von 2006 wird im Rahmen einer Unfruchtbarkeitsbehandlung eine humangenetische Beratung für ungewollt kinderlose Paare vorgeschlagen. Weitere Gründe für diese Beratung sind z. B. eine genetische Erkrankung des Ratsuchenden oder das Vorliegen einer genetisch bedingten Krankheit in der Verwandtschaft. In der Beratung sollen genetische Risikofaktoren früh erkannt, eine genaue Prognose erstellt sowie prophylaktische und therapeutische Ansätze angeboten werden. Informationen werden vermittelt über angeborene oder spät manifeste genetisch (mit-)bedingte Erkrankungen und Behinderungen, die Bedeutung genetischer Faktoren bei Krankheitsentstehungen, Informationen über die Wirkung erbgutverändernder Substanzen sowie über Möglichkeiten der Prävention, Behandlung und PND. Die Beratung soll den Paaren helfen, medizinische und genetische Sachverhalte zu verstehen und Entscheidungsalternativen – wie das Aufgeben des Kinderwunsches bei hohem Risiko von Erbkrankheiten – zu bedenken. In den ärztlichen Richtlinien ist das oberste Prinzip, dass die Ratsuchenden die Beratung freiwillig in Anspruch nehmen.