4.5 Datenerhebung
Die Datenerhebung erstreckte sich vom 30. Januar 2009 bis zum 18. April 2009, an dem das letzte von insgesamt 15 Interviews stattfand. Die Gespräche wurden in den Wohnungen der Befragten, in Cafés oder Restaurants und ein Mal am Arbeitsplatz eines Interviewpartners geführt, sowohl in Berlin, als auch in anderen Städten Deutschlands. Die Interviews dauerten zwischen 35 Minuten und eineinhalb Stunden. Eine Interviewpartnerin sendete nach dem Gespräch einen Nachtrag zu zwei Fragestellungen per Email, der in der Auswertung berücksichtigt, in das Interviewtranskript (IT) eingefügt und mit einer Fußnote versehen als Email Nachtrag gekennzeichnet wurde.
Bei qualitativen Datenerhebungen gibt es Nachteile und Fehlerquellen, die bei der Datenerhebung und Auswertung berücksichtigt werden müssen. Dazu gehört der Effekt der sozialen Erwünschtheit, der auch bei quantitativen Studien auftreten kann: Individuen bewerten soziale Aktivitäten, Meinungen und Eigenschaften, was z. B. je nach Schichtzugehörigkeit oder Bildungsgrad variieren kann. Positive Bewertungen von Handlungen oder Einstellungen werden als Ort der sozialen Erwünschtheit bezeichnet. Wird die individuelle Meinung als zu abweichend von der gesellschaftlichen Norm betrachtet, wird diese im Interview relativiert. Die Befragten machen einen Kompromiss zwischen der Wahrheit und dem nach ihrer Ansicht sozial erwünschten Verhalten. Die systematische Verzerrung durch den Effekt der sozialen Erwünschtheit tritt insbesondere bei heiklen Fragen auf. In dieser Arbeit könnten bei den Fragen zu der subjektiven Sichtweise auf Schwangerschaftsabbrüche oder die Einstellung zur Inanspruchnahme der PID Effekte der sozialen Erwünschtheit auftreten. Deshalb wurde versucht, den Effekt zu reduzieren, indem die Fragen möglichst neutral und ohne wertbesetzte Begriffe gestellt wurden. Probleme können sich auch dadurch ergeben, dass die impliziten Äußerungen der InterviewpartnerInnen von dem Interviewenden durch vermeintliches Verstehen kompensiert werden und er sich diese von den Befragten nicht erläutern lässt. Daraus resultiert, dass keine geeigneten Nachfragen gestellt werden.
4.6 Auswertungsstrategie des PZI
Die Analyse und Interpretation der Interviews orientiert sich an der Auswertungsstrategie, die Witzel (1996, 2000) für das PZI vorschlägt. Als Materialgrundlage der Auswertung dienen die vollständig transkribierten Interviews. Im Erhebungsverlauf wurden Vorinterpretationen getroffen, die Satz für Satz nachvollzogen wurden (Satz-für-Satz-Analyse). Daraus resultierend wurde der Text mit Stichwörtern aus dem Leitfaden (theoriegeneriert, deduktiv) markiert (linke Spalte im IT). Zudem wurde der Text mit Begrifflichkeiten, die Aspekte aus den Ausführungen der Interviewpartner darstellen (induktiv), kenntlich gemacht (rechte Spalte im IT). Die Satz-für-Satz-Analyse dient der thematischen Bearbeitung des Interviews und ist ein deskriptiver Schritt. Aus der Satz-für-Satz-Analyse wurde eine Falldarstellung angefertigt. Auch diese ist deskriptiv und macht die InterpretInnen mit den wesentlichen Details des Einzelfalls vertraut. Die Falldarstellung lieferte einen Überblick über den Behandlungsablauf, wobei zeitliche Dimensionen deutlich wurden. Zudem sind Verhaltens- und Entscheidungsbegründungen enthalten, wobei auch nicht realisierte Optionen und retrospektive Beurteilungen einbezogen wurden (z. B. Gründe für die Inanspruchnahme der Behandlung, Alternativen, Gründe für die Anwendung einer PND, Umgang mit der Art der Familiengründung gegenüber dem Umfeld).
Ergänzt wurde die Falldarstellung durch die tabellarische Chronologie (vgl. Kap. 9.7). Darin wurde der Verlauf der Kinderwunschbehandlung komprimiert dargestellt. Die Chronologien enthalten zentrale Themen, die zu prägnanten Aussagen verdichtet wurden, sowie Originaltextstellen und Paraphrasierungen. Die angegebenen Seiten- und Zeilennummern verweisen jeweils auf die Originaltextstellen im IT, was der intersubjektiven Nachprüfbarkeit dient. Die theoretische Achse für die Auswertung wurde auf die konkreten Handlungs- und Entscheidungsstrategien der Akteure bezogen. Diese wurden zusammen mit den Rahmenbedingungen mithilfe des ARB-Modells (Aspiration – Realisation – Bilanzen) systematisch dargestellt. Unter Aspirationen versteht man interessenbezogene Begründungen von realisierten und nicht-realisierten Optionen, wobei ein Bezug zu Handlungsbedingungen hergestellt wird. So wurden unter dem Thema „Familiengründung und Kinderwunsch“ die Entscheidungsbegründungen zur Elternschaft bzw. die Kinderwunschmotive aufgeführt. Unter Realisationen werden konkrete Handlungsschritte gefasst, die zur Umsetzung der individuellen Interessen nötig sind. In dieser Arbeit bezogen sich die Realisationen z. B. das Aufsuchen einer Ärztin bzw. eines Arztes oder einer Kinderwunschklinik zur Ursachenforschung des unerfüllten Kinderwunsches. Bilanzen beschreiben die Handlungs- und Entscheidungsfolgen und enthalten Bewertungen der Relation zwischen Aspiration und Handlungsbedingungen. Diese bilden die Erfahrungsgrundlage für die Aufrechterhaltung, Korrektur oder Reduktion von Ansprüchen oder Zukunftsplanungen. So wurde unter Bilanzen etwa erfasst, wie die Befragten die Diagnosen verarbeiteten.
Der Fall übergreifende Vergleich (vgl. Kap. 5) diente als Grundlage für die inhaltsanalytische Darstellung der Ergebnisse. Dabei wurde das Material reduziert, wobei wesentliche Aussagen und Inhalte erhalten blieben. Im Fall übergreifenden Vergleich wurden die in den narrativen Sequenzen häufiger auftauchenden Themen und Begründungsmuster aus den einzelnen Interviews zusammengefasst. Die Einzelfälle wurden hinsichtlich ihrer Ausprägungen nach dem Prinzip minimaler und maximaler Kontrastierung miteinander verglichen; Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Entscheidungsbegründungen, Handlungsschritte, subjektive Sichtweisen und Einstellungen wurden sichtbar. Dann wurden Kontextinformationen aus dem theoretischen Teil und den vorgestellten empirischen Studien (vgl. Kap. 2.1) herangezogen. Dieses zusätzliche Material konnte an einzelne Interviewpassagen herangetragen werden, wodurch diese eingeordnet sowie besser erklärt wurden. Die Forschungsthesen bildeten den Orientierungsrahmen für die Analyse und die interpretative Darstellung der Ergebnisse. Dadurch wurde das Datenmaterial anhand inhaltlicher Merkmale bzw. bestimmter Themen strukturiert (vgl. Kap. 6). Bei der Auswertung qualitativer Interviews wird häufig die Durchführungsobjektivität kritisiert. Die Auswertungsstrategie führt nicht immer zu eindeutigen Interpretationen. Unsichere Interpretationen, Widerspräche, offene Fragen und methodische Fehler wurden deshalb im Dossier festgehalten, das eine kurze Bewertung über die Beschaffenheit des vorliegenden Interviewmaterials enthält.