Reproduktionsmedizin - 5.2 Kinderwunschmotive und Ursachen des unerf?llten Kinderwunsches

5.2 Kinderwunschmotive und Ursachen des unerfüllten Kinderwunsches

 

Die meisten Befragten wünschten sich von Beginn ihrer Beziehung ein Kind (I.1/5-9/11/13/15). Bei vier Paaren war der Kinderwunsch bei den Frauen (I.2-5), bei einem Paar (I.12) bei dem Mann stärker ausgeprägt und entwickelte sich bei deren PartnerInnen im Laufe der Beziehung. So auch beim gleichgeschlechtlichen Paar: Eine der Frauen hatte „schon immer“ (IT S. 9, Z. 18) einen Kinderwunsch, während sich ihre Partnerin mit ihrem vorherigen heterosexuellen Partner keine Kinder wünschte (I.14). Fünf Paare gaben an, dass für sie Kinder zu einer Partnerschaft dazugehören, die eine Familie erst vollwertig machen (I.1/2/6/13/5). Für zwei Paare war eine Eheschließung hingegen eine Voraussetzung für die Realisierung des Kinderwunsches (I.11/15), was etwa von einer Interviewpartnerin mit ihrer „altdeutschen“ Einstellung (vgl. IT 11, S. 1, Z. 35) begründet wurde. Bei sechs Paaren motivierte eine Liebesbeziehung zur Hochzeit (I.3/4/6/7/9/13), von denen ein Paar zudem angab, dass es ihnen wichtig sei, dass alle Familienmitglieder den gleichen Nachnamen tragen (I.4). Fünf Paare heirateten, damit die Mitfinanzierung der Kinderwunschbehandlung durch die Krankenkassen gewährleistet war (I.1/2/5/8/12). Das gleichgeschlechtliche Paar entschied sich für die eingetragene Lebensgemeinschaft, damit für diejenige, die das Kind nicht austrägt, die Möglichkeit zur Stiefkindadoption besteht (I.14w).

Die meisten Paare erklärten, dass für sie bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, bevor sie beginnen, den Kinderwunsch zu realisieren, wie die Beendigung der Ausbildung (I.1/2/5/8/12), eine stabile Partnerschaft und Liebesbeziehung (I.1/3/6/7/10w/12), gesicherte finanzielle Verhältnisse (I.2/4/6/7) oder das Erreichen eines bestimmten Alters (ab 25 Jahren, I.10w). Bei einer Befragten gab es ein auslösendes Momentum, das den Kinderwunsch verstärkte: Sie ließ im jungen Erwachsenenalter einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, weil die selbst auferlegten Voraussetzungen für eine Mutterschaft (abgeschlossene Ausbildung, stabile Partnerschaft) nicht gegeben waren (I.10w). Ferner wurden von den Befragten folgende Kinderwunschmotive genannt: Kind als Bereicherung, Herausforderung, Aufgabe oder Sinn des Lebens (I.3/5-7/9/10/14w1/15), Weitergabe der elterlichen Eigenschaften bzw. Wunsch nach leiblichem Kind (I.1-3/5/8/11m/12), Schwangerschaftserleben (I.5/8/14w1) und Kind als Verbindung zwischen Partnern (I.3/5/9). Vier Interviewpartnerinnen hatten ihren Kinderwunsch seit frühester Kindheit und sahen diesen als natürlich an, da die Evolution darauf basiere (I.1w/3w/7w/10w) und/oder die Mutterschaft zur weiblichen Identität (I.1w/5w/8w/9w) gehöre. Für zwei der Befragten hatte die Realisierung des Kinderwunsches Priorität vor anderen Lebensbereichen (z. B. Beruf) (I.3w/11w). Bei drei InterviewpartnerInnen motivierte die eigene positiv erlebte Kindheit (I.3/5/12m), eine Familie zu gründen, während eine Befragte angab, den Wunsch nach einer intakten Familie entwickelt zu haben, weil sie selbst in problematischen Familienverhältnissen aufwuchs (I.15w). Eine Befragte gab an, dass ihre regionale Herkunft bzw. ihr soziales Umfeld ihre Motivation zur Elternschaft beeinflusste: Weil FreundInnen im sozialen Umfeld oder aus der Region, in der sie aufwuchs, Familien gründeten, entwickelte sich auch bei ihr ein Kinderwunsch (I.4w). Drei Paare gingen im Interview lediglich auf die Bedingungen ein, die zur Realisierung des Kinderwunsches erfüllt sein sollten (I.2/6/13).

Nachdem die Paare ein bis sechs Jahre versucht hatten, ihren Kinderwunsch auf natürlichem Wege zu realisieren, ließen sie sich gynkologisch bzw. andrologisch oder urologisch untersuchen. Bei den meisten Paaren lag eine männliche Fertilitätsstörung vor, wie geringe Spermienbeweglichkeit oder eine eingeschränkte Spermienproduktion oder -güte infolge einer Hodenhochstand- oder Leistenbruch-OP im Kindesalter (I.2m/6m/7m/9m/13m/15m). Bei drei Paaren wurden weibliche Fertilitätsstörungen diagnostiziert, wie Eileiterundurchlässigkeiten, -verschlüsse oder -vernarbung infolge einer Eierstockentzündung oder Eileiterschwangerschaft (I.5w/8w/12w). Bei zwei Paaren vermuteten die ÄrztInnen, dass natürliche bzw. spontane Schwangerschaften in deren Partnerkonstellationen unwahrscheinlich seien (I.3m: eingeschränkte Spermienbeweglichkeit, I.3w: Hashimotosyndrom ; I.4m: von der Norm abweichendes Spermiogramm , I.4w: Ovarzysten). Bei einem Paar lag die medizinische Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch bei beiden Partnern (I.1w: hormonelle Störungen, Endometriose, Schilddrüsenunterfunktion, Spermaantikörper, I.1m: pathologischer Spermiogrammbefund ). Bei einem Paar war bis zum Zeitpunkt des Interviews keine organische Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch gefunden worden (I.11).

Die medizinische Diagnose des unerfüllten Kinderwunsches löste bei sechs Männern der 13 befragten heterosexuellen Paare ein Gefühl des Versagens aus, da sie ihre Zeugungsunfähigkeit als Widerspruch zur Männlichkeit wahrnahmen (I.2m/4m/9m/12m/13m/15m). Zwei Interviewpartnerinnen betrachteten ihre Fertilitätsstörung als körperliche Dysfunktionalität und Widerspruch zur Weiblichkeit und entwickelten Schuldgefühlen gegenüber ihren Partnern (I.1w/9w). Für eine Befragte war die eingeschränkte Zeugungsfähigkeit ihres Mannes schockierend, da sie bereits mit einem infolge einer Chemotherapie zeugungsunfähigen Mann eine Beziehung hatte, die an einem unerfüllten Kinderwunsch zerbrach (I.2w). Ferner berichteten einige Paare, die Diagnose als Schock erlebt zu haben, etwa weil die Realisierung des Kinderwunsches die höchste Priorität im Leben des Paares einnahm (I.11) bzw. weil der Familiengründung eine hohe Bedeutung zukam (I.5/15w). Das Bewusstsein, dass durch die Fertilitätsstörung die Chance auf ein leibliches Kind sinkt (I.8) und die Familiengründung nicht mehr individuell planbar ist, sondern von medizinischer Hilfe abhängt, wirkte ebenfalls psychisch belastend (I.4/6w/13w/15w). Zwei InterviewpartnerInnen, die der katholischen Konfession angehörten, betrachteten den unerfüllten Kinderwunsch bzw. die Sterilität als von Gott bestimmtes Schicksal (I.3w) oder göttliche Strafe (I.13m). Drei Befragte gaben an, infolge des unerfüllten Kinderwunsches Schwierigkeiten zu haben oder zwiespältige Gefühle (Trauer vs. Freude) zu hegen, wenn sie Schwangere, Babys, Kinder oder Familien sahen (I.2w/8w/13w).

Vier Paare berichteten, dass sie nach der gynäkologischen und andrologischen oder urologischen Diagnostik und/oder dem anfänglichen Schock erleichtert waren, weil eine eindeutige medizinische Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch vorlag, die erklärte, aus welchen Gründen der sexuelle Verkehr bislang nicht zum gewünschten Ergebnis führte. Sie gaben an, dass sich dadurch die intime Partnerschaftsbeziehung nach der Diagnose entspannte, da der Fokus nicht mehr auf dem Eintritt einer Schwangerschaft lag (I.6/7/10/12). Ein Paar konnte die Diagnose leichter verkraften, als es realisierte, dass auch andere Paare unfruchtbar bzw. ungewollt kinderlos sind und der Kinderwunsch mit medizinischen Mitteln erfüllt werden kann (I.6m). Zwei Befragte erwarteten eine Fertilitätsstörung bereits vor der Diagnose, weil die eigene Krankheitsgeschichte (I.15m) bzw. die des Partners (I.13m) darauf hindeutete.