6.1 Merkmale der Stichprobe
Die Annahme, dass eine steigende Anzahl an Frauen zur späten Mutterschaft tendieren und somit auf Fortpflanzungstechnologien angewiesen ist (vgl. Kap. 1, 2.1.2), trifft in dieser Stichprobe eher nicht zu. Die Interviewpartnerinnen – zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 29 und 41 Jahre alt und bei der Geburt ihrer Kinder zwischen 25 und 38 Jahre – können überwiegend nicht als späte Mütter bezeichnet werden (nur drei Interviewpartnerinnen waren bei der Geburt ihrer Kinder älter als 35 Jahre). Meist lag eine männliche Fertilitätsstörung dem unerfüllten Kinderwunsch zugrunde und nicht die Tatsache, dass die biologische Grenze der Frau wirksam wurde (vgl. Kap. 5.1, 5.2.).
Die 13 befragten heterosexuellen Paare nahmen eine reproduktionsmedizinische Behandlung in Anspruch, wovon sich bei mehr als zwei Dritteln (neun Paare) – späestens nach sieben Behandlungszyklen – der Kinderwunsch erfüllte (vgl. Kap. 5.1). Die Schwangerschaftsrate des Samples lag leicht über der vom IVF-Register (2007) angegebenen Schwangerschaftsrate, wonach bei 50 bis 60 Prozent keine Schwangerschaft eintritt, auch wenn alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind (vgl. Kap. 2.1.3). Diese Zusammensetzung des Samples kann darauf zurückzuführen sein, dass sich eher Personen zum Interview bereit erklären, bei denen die Behandlung gefruchtet hat, während andere möglicherweise gehemmter sind, sich mitzuteilen. Der Erfolg der Behandlung bedingte jedoch nicht, dass die Paare eine ausschließlich positive Sichtweise auf die Fortpflanzungstechnologien hatten. Sie beleuchteten auch negative Aspekte bzw. betrachteten die reproduktionsmedizinischen Verfahren, die PND oder die PID und deren mögliche Konsequenzen kritisch.
Zwischen den InterviewpartnerInnen mit deutscher, österreichischer Staatsangehörigkeit, russischem und griechischem Migrationshintergrund wurden keine Unterschiede in den Argumentationen oder Bewertungen ersichtlich. Im Hinblick auf die Schul- und Ausbildungsabschlüsse ist die Stichprobe nahezu homogen, da überwiegend höher qualifizierende Schul- und Berufsabschlüsse vertreten waren (vgl. Kap. 5.1, 9.6). Inwiefern diese auf die subjektiven Sichtweisen oder Bewertungen der Reproduktionsmedizin Einfluss nahmen, kann aufgrund des fehlenden Vergleiches zu anderen Schul- und Berufsabschlüssen nicht beantwortet werden. Bei jedem Paar war mindestens ein Partner in Vollzeit angestellt. Das kann damit zusammenhängen, dass eine reproduktionsmedizinische Behandlung aufgrund der hohen finanziellen Eigenbeteiligung nur von jenen in Anspruch genommen werden kann, denen ein hohes Haushaltsnettoeinkommen zur Verfügung steht. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass sozioökonomische Ungleichheiten die Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin und vermutlich auch die der PID, wenn sie in Deutschland erlaubt wird, entscheidend beeinflusst: Personen mit einem niedrigen Haushaltsnettoeinkommen können z. B. bei einer Fertilitätsstörung höchstens die drei zur Hälfte von den Krankenkassen bezahlten Versuche vornehmen lassen.
In diesem Sample nahmen die Befragten überwiegend jene reproduktionsmedizinischen Verfahren in Anspruch, bei denen die natürliche Reproduktionstriade erhalten blieb (IUS, IVF, ICS). Bei zwei Paaren und einer Alleinstehenden lagen segmentierte Elternschaften vor, wobei nur ein Paar eine reproduktionsmedizinische Behandlung (DI) vornahm. Das gleichgeschlechtliche Paar und die Alleinstehende erfüllten sich den Kinderwunsch mit einer privaten Samenspende, da sie eine Kinderwunschbehandlung im Ausland mit Spendersamen aus zeitlichen und finanziellen Gründen ablehnten. Diese Personengruppen haben zur Realisierung des Kinderwunsches zwar keine reproduktionsmedizinische Behandlung in Anspruch genommen, gehören aber im Zuge der Pluralisierung der Familienformen zu jenen, welche die Fortpflanzungstechnologien nutzen möchten (vgl. Kap. 1). Aufgrund der Stichprobenzusammensetzung im Hinblick auf die Arten der Familiengründungen sind diesbezügliche Vergleiche nach dem Prinzip minimaler und maximaler Kontrastierung eher schwierig. Dennoch konnten diese Fälle als Kontraste auf Eckpunkte der Vergleiche aufmerksam machen, etwa im Hinblick auf den Umgang mit der Art der Familiengründung (vgl. Kap. 5.5.5, 6.6).