Reproduktionsmedizin - 2.1.3 Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung

2.1.3. Methoden der medizinisch assistierten Fortpflanzung

 

In Deutschland sind seit den 1980er Jahren folgende Methoden gängig: Intrauterine Inseminationen (IUS) werden eingesetzt, wenn Anzahl und Beweglichkeit der Samenzellen herabgesetzt sind oder wenn die Beschaffenheit der Gebärmutterschleimhaut die Beweglichkeit der Spermien einschränkt. Zum Zeitpunkt des Eisprungs oder kurz davor werden die aufbereiteten Samen, die der Mann durch Masturbation gewonnen hat, über einen dünnen Katheter in die Gebärmutter, den Gebärmutterhals oder die Eileiter eingebracht. Die Samen müssen dann, wie bei einer natürlichen Befruchtung, selbst den Weg zur Eizelle finden. Um die Chancen für eine Befruchtung zu erhöhen, wird die Frau meist mit Hormonen behandelt, damit mehrere Follikel heranreifen. Die IUS ist einfacher umzusetzen als die nachfolgend dargestellten Verfahren und ist für die Patientin risikoärmer und schonender. Bei einer IUS können entweder die Samenzellen des Ehemannes (homologe Insemination) oder die eines anonymen Samenspenders (heterologe oder donogene Insemination – DI) verwendet werden.

Die Hauptindikationen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) sind ein irreparabler Eileiterverschluss, Endometriose, eingeschränkte Samenqualität, durch Bildung von Spermaantikörpern bedingte oder ungeklärte Sterilität. Die Eierstöcke der Frau werden zunächst hormonell stimuliert. Unter Ultraschallkontrolle und Narkose oder einem Schmerz- und Beruhigungsmittel werden die reifen Follikel aus den Eierstöcken durch die Scheide mit einer speziellen Hohlnadel abgesaugt. Die Eizellen werden dann in einer Glasschale in einer speziellen Nährlösung mit den durch Masturbation gewonnenen und aufbereiteten Samenzellen (25.000-100.000) zusammengebracht und bleiben 25 Stunden in einem Wärmeschrank. Dann wird überprüft, ob Spermien in die Eizellen eingedrungen sind. Zu diesem Zeitpunkt, wenn das Erbgut noch nicht verschmolzen ist, spricht man vom Vorkernstadium. Laut deutschem ESchG dürfen pro Zyklus drei Eizellen heranreifen, die etwa zwei Tage nach der Follikelpunktion mithilfe eines Katheters in die Gebärmutter transferiert werden (Embryonentransfer – ET). In einigen Reproduktionskliniken werden die befruchteten Eizellen erst nach fünf bis sieben Tagen übertragen (Blastozystenstadium), um deren Entwicklung zu beobachten.

Dringen nach einer hormonellen Stimulation Spermien in mehr als drei Eizellen ein, können diese auf Wunsch der potenziellen Eltern tiefgefroren werden (Kryokonservierung). Erfolgt z. B. nach einem IVF-Versuch keine Schwangerschaft, können diese Zellen für weitere Behandlungen aufgetaut und nach der Verschmelzung des Erbgutes in die Gebärmutter transferiert werden (Kryotransfer – KT). Da sich die Zellen noch im Vorkernstadium befinden, ist eine Kryokonservierung mit dem ESchG vereinbar. Embryonen dürfen in Deutschland nur zum Zwecke der menschlichen Fortpflanzung eingesetzt werden, weshalb überzählige befruchtete Zellen, etwa nach Eintritt einer Schwangerschaft, entweder kryokonserviert oder vernichtet werden müssen. Die Kosten für die Kryokonservierung (etwa 500 EUR pro Jahr) müssen vom Paar komplett übernommen werden, da diese Methode nicht zur Leistungspflicht der Krankenkassen gehört. Bei der IVF werden drei Versuche zur Hälfte von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt. Die private Krankenkasse übernimmt bei vier Versuchen die gesamten Kosten, wenn bei dem Versicherten die Fertilitätsstörung vorliegt, die eine Kinderwunschbehandlung notwendig macht. Eine IVF kostet inklusive Medikamente 2.500 bis 3.500 EUR.

Die intrazytoplasmatische Spermieninjektionen (ICSI), die seit 1992 angewendet wird, kommt bei einer extrem herabgesetzten männlichen Fertilität zum Einsatz (z. B. geringe Anzahl oder unbewegliche, fehlgebildete Samenzellen). Wie bei der IVF werden der Frau nach hormoneller Stimulation per Punktion mehrere reife Eizellen entnommen. Der Samen wird durch Masturbation gewonnen. Ein einziges intaktes Spermium reicht aus, das im Labor isoliert, mit einer hauchdünnen Pipette aufgezogen und in die Eizelle injiziert wird. Das weitere Prozedere im Labor verläuft wie bei einer IVF. Eine ICSI-Behandlung inklusive Medikamente und Narkose kostet 3.500 bis 5.000 EUR. Die Finanzierung durch die Krankenkassen erfolgt wie bei der IVF. Ist der Mann vollkommen zeugungsunfähig, besteht die Möglichkeit der testikularen Spermienextraktion (TESE) oder mikrochirurgischen, epididymalen Spermienextraktion (MESA). Dabei werden Samenzellen entweder mithilfe einer Hodenbiopsie gewonnen oder aus dem Nebenhoden abgesaugt. Diese können dann für eine ICSI aufbereitet werden.

Zu weiteren reproduktionsmedizinischen Verfahren gehört die pränatale Adoption (auch Embryonenadoption), bei der überzählige, kryokonservierte Embryonen von den Paaren freigegeben werden, bei denen z. B. die Familiengründung abgeschlossen ist. Dieses Verfahren wird in Deutschland nur auf einer Fall-zu-Fall-Basis zugelassen. Bei der Eizellenspende werden Samenzellen des Partners in die Eizelle einer fremden Frau injiziert, der Embryo wird meist von der erziehenden Mutter ausgetragen. Lässt ein Paar seinen durch z. B. IVF gezeugten Embryo gegen Bezahlung von einer fremden Frau austragen, spricht man von Leihmutterschaft. Eizellenspende und Leihmutterschaft sind hierzulande verboten.

Der Einsatz reproduktionsmedizinischer Methoden ist kein Garant für Nachwuchs. Laut Deutschem IVF-Register (2007) ergibt sich bei Frauen bis zum Alter von 35 Jahren, die eine IVF-Behandlung durchlaufen haben, eine Schwangerschaftsrate von 41 Prozent und bei Frauen, die mit ICSI behandelt wurden, eine Schwangerschaftsrate von 39 Prozent pro ET. Der erste Versuch einer IVF oder ICSI endet bei 80 Prozent der Kinderwunschpatientinnen kinderlos und nach drei Behandlungszyklen bleiben noch 60 Prozent der Paare ohne Kinder. Etwa 50 bis 60 Prozent der Paare wird mithilfe der Medizin zu einem Kind verholfen, bei Ausschöpfung alle medizinischen Möglichkeiten. Familienbildungsprozesse unterliegen in Deutschland institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen, auch bei der medizinisch assistierten Fortpflanzung. Unverheiratete Paare haben im Gegensatz zu Ehepaaren laut eines Urteils vom Bundesverfassungsgericht vom 29. Juli 2007 bei reproduktionsmedizinischen Behandlungen keine Ansprüche auf Beihilfe von der Krankenkasse. Gleichgeschlechtliche Paare können zwar den Status einer Ehe durch eingetragene Lebensgemeinschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001) erreichen. Ihnen ist es aber hierzulande nicht erlaubt, mithilfe der Reproduktionsmedizin eine Familie zu gründen. Zudem bleibt den homosexuellen Personen der Zugang als Nutzer zu den deutschen Samenbanken verwehrt. Nach dem im Jahr 2005 in Kraft getretenen Gesetz der Stiefkindadoption ist es in homosexuellen Beziehungen aber möglich, dass die sogenannten Ko-Mütter bzw. Ko-Väter ein leibliches Kind der Partnerin bzw. des Partners adoptieren.

Für Alleinstehende ist es in Deutschland ebenfalls schwierig, ihren Kinderwunsch durch medizinisch assistierte Fortpflanzung zu erfüllen. Reproduktionsmediziner erklären sich selten dazu bereit, weil die Gefahr besteht, dass sie als Verursacher einer Schwangerschaft auf Unterhalt verklagt werden. Nur in wenigen Arztpraxen (z. B. in Berlin), die Samen aus dem Ausland beziehen, werden diese Personengruppen unterstützt. Sie haben meist nur die Möglichkeit, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, indem sie im Ausland (z. B. Niederlande, skandinavische Länder) eine reproduktionsmedizinische Behandlung mit Spendersamen vornehmen lassen oder auf eine private Samenspende zurückgreifen. Die Spermien inseminieren sie sich im letzten Fall per „Do it yourself“-Verfahren.