5.5.5 Aufklärung des Kindes und Eltern-Kind-Beziehungen
Alle Paare, unabhängig davon, ob sich der Kinderwunsch infolge der Reproduktionsmedizin erfüllt hatte oder noch nicht, gaben an, dass ihre Kinder ein Recht darauf hätten, über die Art ihrer Zeugung informiert zu werden. Drei Paare planten, ihre Kinder ab einem bestimmten Alter (genannt wurde z. B. ab acht Jahren und älter) aufzuklären, weil sie erst dann die Thematik verstehen könnten oder erst dann Fragen bei den Kindern hinsichtlich ihrer Herkunft aufkämen. Eine frühere Aufklärung könne das Kind überfordern oder verunsichern (I.1/2/13/14w). Andere plädierten für eine frühe Aufklärung (etwa ab einem halben Jahr), damit die Kinder mit dem Wissen über die Art der Familiengründung aufwüchsen (I.2/5/15). Zwei Befragte berichteten davon, dass sie ein Bild der befruchteten Eizelle in das Fotoalbum der Kinder geklebt hatten, etwa mit der Überschrift „Einer davon warst du“ (IT 2, S. 23, Z. 55). Dadurch werde das Kind die Art der Familiengründung als selbstverständlich bzw. normal empfinden. Drei Paare, die ihre Kinder über die Art der Zeugung informieren wollten, sahen keine Probleme in der Aufklärung für die Kinder bzw. maßen dieser Thematik keinen großen Stellenwert bei. Dies begründeten sie damit, dass die Zeugungsart für die Kinder wenig bedeutend sei, wenn die genetische Abstammung gegeben und das Kind im Mutterleib der genetischen und sozialen Mutter aufgewachsen sei (I.7/12/13).
Viele Paare sahen in der reproduktionsmedizinischen Behandlung ein „Kompliment“ (IT 12, S. 23, Z. 53f.) für die Kinder, das zeige, dass die Kinder etwas Besonderes und wie sehr sie gewünscht seien (I.1/2/4/7/9/12/13). Als Motive für eine Aufklärung nannten sie außerdem, dass das Kind sich durch die Art der Familiengründung nicht in eine Sonderrolle gedrängt sehen solle (I.1/2/10w/13/15). Einige Paare betonten, dass kein Motiv für ein Verschweigen bestehe, da die Reproduktionsmedizin inzwischen Bestandteil der modernen Gesellschaft sei (I.3-6/13). Ein Paar wies darauf hin, dass eine Aufklärung über die Art der Familiengründung für die Kinder im späteren Lebensverlauf bedeutend werden könne, etwa wenn sie ebenfalls ungewollt kinderlos blieben (I.4). Für drei Paare war eine Aufklärung unabdingbar, da nahezu das gesamte familiäre und soziale Umfeld eingeweiht war. Verhindert werden solle, dass das Kind von Dritten über die Art seiner Zeugung erfahre (I.8/10w/13). Einige Paare wiesen darauf hin, dass die Eltern-Kind-Beziehung durch eine Lüge belastet werde, wenn man dem Kind entweder die Zeugungsart (I.8) oder – wie im Falle der Inseminationsfamilien – seine biologischen und genetischen Wurzeln verschweige (I.10/15). Die Inseminationsfamilien betonten einen offenen Umgang gegenüber ihren Kindern, weil vermieden werden solle, dass Identitäts- oder Persönlichkeitskrisen bei den Kindern oder Schäden im familiären Sozialgefüge auftreten (I.10w/14w/15). Eine Aufklärung von Kindern in Inseminationsfamilien werde außerdem in wissenschaftlichen Studien empfohlen (I.10w/15w). Die DI-Familie zog englischsprachige Ratgeber zur Aufklärungshilfe heran und entschied sich dafür, die Art der Familiengründung regelmäßig zu thematisieren. Wichtig sei dabei, dass eine positive Einstellung zur Familiengründungsart gegenüber dem Kind transportiert werde. Das gleichgeschlechtliche Paar und die Alleinstehende argumentierten, dass eine Aufklärung nötig sei, da sich die Familienkonstellationen offensichtlich vom Normaltypus der Familie unterscheiden und somit vermutlich Fragen bei den Kindern aufkämen (I.10w/14w). So berichtete das gleichgeschlechtliche Paar, dass ihr erstes Kind Fragen stellte, als die Interviewpartnerin mit dem zweiten Kind schwanger war. Es hatte durch das Hören einer Aufklärungs-CD erfahren, dass sich zwei Frauen miteinander nicht fortpflanzen können. Die Interviewpartnerinnen erklärten ihrem Kind, dass es das „Geschenk eines Mannes“ (IT 14, S. 11, Z. 35f.) sei. Diese Aussage sei für das Kind ausreichend gewesen. Weitere Details planten sie ihm mitzuteilen, wenn es älter ist (I.14).
Alle Befragten gaben an, dass das Vorhandensein eines starken Kinderwunsches und die Liebe zum Kind eine gute Eltern-Kind-Beziehung begingen, die Art der Zeugung darauf weniger Einfluss habe. Fünf Paare, die eine IUS, ICSI oder IVF in Anspruch nahmen, sahen keine negativen Einflüsse der reproduktionsmedizinischen Behandlung auf diese Beziehung, weil eine genetische Verbindung zwischen Eltern und Kindern bestehe und die Kinder im Leib ihrer biologischen, genetischen und sozialen Mutte heranwachsen bzw. aufgewachsen sind (I.1/3/4/7/13). Einige Paare nahmen an, dass mithilfe der Reproduktionsmedizin gezeugte Kinder sogar intensiver geliebt werden, weil sie häufig viel bewusster geplant, gezeugt und mehr gewünscht seien als natürlich gezeugte Kinder (I.2/8/9/13).
Einige Paare, darunter die Inseminationsfamilien und ein Paar, dessen Kinderwunsch sich mithilfe der IVF erfüllte, sahen in der biologischen, genetischen Verbindung zwischen Eltern und Kind nicht den Hauptfaktor, der die Eltern-Kind-Beziehung beeinflusse, wenn gegenüber dem Kind offen mit der Art der Familiengründung umgegangen werde. äußere Einflüsse bzw. die Wahrnehmung der elterlichen Pflichten sowie die Erziehung seien im Gegensatz zur genetischen Verbindung relevanter für die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung (I.5/10w/14w/15). Dennoch wies ein Paar darauf hin, dass die Zeugung durch die anonyme Samenspende für das Kind im Laufe seines Lebens bzw. vermutlich während der Pubertät problematisch werden und die Eltern-Kind-Beziehung negativ beeinflussen könne. Denkbar war für das Paar, dass Konflikte auftreten, etwa wenn das Kind seinen sozialen und rechtlichen Vater durch die fehlende genetische Verbindung nicht als „richtigen“ Vater ansähe oder akzeptiere (I.15).