Reproduktionsmedizin - 5.6.2 Bewertung der PID

5.6.2 Bewertung der PID

 

In einer Anwendung der PID im Rahmen einer medizinisch assistierten Fortpflanzung sahen nahezu alle InterviewpartnerInnen Vorteile. Diese Option solle vor allem für erblich belastete Paare bestehen (I.1-15). Für zwei Paare reichte der Wunsch nach einem gesunden Kind aus, um die PID vornehmen zu lassen, ohne dass eine Erbkrankheit vorliegt (I.12/13). Für die Alleinstehende legitimierte dieser Wunsch die Inanspruchnahme der Diagnostik jedoch nicht (I.10w). Zwei Befragte befürworteten, die Möglichkeit zur PID auch für jene Paare, die keine Fertilitätsstörung hätten und nicht auf die Reproduktionsmedizin angewiesen seien (I.12/13). Das wurde hingegen von einer anderen Befragten abgelehnt: Das Leben werde durch die PID auf einen „künstlichen Schaffungsprozess“ (IT 7, S. 18, Z. 14ff.) reduziert und solle daher nur in Ausnahmefällen bzw. bei den Paaren, die aufgrund medizinischer Ursachen auf die Reproduktionsmedizin angewiesen sind und bei denen eine medizinische Indikation vorliegt, angewendet werden (I.7w). Die PID wurde befürwortet, da das Risiko von genetischen Krankheiten bereits vor der Einnistung in die Gebärmutter vermindert bzw. der Transfer von genetisch belasteten Embryonen ausgeschlossen werden könne (I.1-11/13-15). Einige Paare wiesen dabei auf die Schwierigkeiten hin, die Reichweite der PID festzulegen: So sei es problematisch zu definieren, bei welchen Erbkrankheiten diese Diagnostik angewendet werden solle, weil bestimmte genetische Krankheiten im Zuge des medizinischen Fortschritts vermutlich behandelbar seien, die heute noch häufig tödlich verlaufen (I.4/8/15). Die Paare sahen in der PID eine Möglichkeit, Fehlgeburten oder Entscheidungskonflikte im Schwangerschaftsverlauf zu vermeiden. Viele Paare sahen in der PID den Vorteil, dass keine Bindung zwischen der Schwangeren und den Zellen, die anonym seien und keine Schmerzen empfänden, bestehe (I.1/5/7/9/11-13/15). Diese Sichtweise basierte z. B. auf der Einstellung der Paare, dass das schätzenswerte menschliche Leben mit der Einnistung des Embryos im Mutterleib beginne (I.1/2/4/5/7-9/11-13). Zwei Paar vertraten diese Ansicht hingegen nicht, wenn es um ihre eigenen kryokonservierten Eizellen ging; diese betrachteten sie vielmehr als schätzenswertes Leben bzw. setzten sie mit Kindern gleich (I.4/12). Zwei Paare äußerten ferner, dass eine Etablierung der PID in Deutschland sinnvoll sei, um Medizintourismus in jene Länder zu vermeiden, in denen diese Diagnostik erlaubt ist (I.11/12). Von einer Befragten wurde die PID im Falle einer späten Mutterschaft als besonders sinnvoll angesehen, weil dabei das Risiko einer Behinderung hoch ist (I.6).

Die Feststellung von nicht krankheitsrelevanten Merkmalen durch die PID bzw. eine Selektion aufgrund des Geschlechts oder äußerlicher Merkmale wurde von allen Paaren abgelehnt, wobei zwei Paare einschränkten, dass Geschlechtsselektionen vertretbar seien, wenn das Risiko für Chromosomenstörungen bestehe, die nur ein bestimmtes Geschlecht betreffen (I.12/13). Viele Paare erklärten, dass für sie äußerliche Eigenschaften im Gegensatz zur Gesundheit des Kindes für werdende Eltern nicht relevant seien, weshalb ihnen eine Diagnostik zur Feststellung dieser Merkmale sinnlos erscheine (I.1/2/4-9/11-13). Einige assoziierten Selektionen aufgrund von Äußerlichkeiten mit dem Kreieren von Designerbabys oder fühlten sich an die Eugenik des Dritten Reiches erinnert. Diese Selektionen seien ein zu großer Eingriff in die Natur und das menschliche Leben, vielmehr solle die Individualität und Einzigartigkeit eines jeden Kindes hinsichtlich äußerlicher Merkmale und des Geschlechts trotz der beanspruchten medizinisch assistierten Fortpflanzung bewahrt bleiben (I.2/3/7/8/10/15). Einige Befragte befürworteten zwar die Einführung der PID in Deutschland, gaben aber an, diese selbst nicht nutzen zu wollen. Dabei argumentierten sie überwiegend ähnlich wie bei der PND: Die Ergebnisse der PID beeinflussten Entscheidungen und Handlungsstrategien nicht. Eine Interviewpartnerin sah in der PID ein „Herumexperimentieren mit menschlichem Leben“ (vgl. IT 3, S. 7, Z. 39-45), das nicht vertretbar sei. Sie ging jedoch davon aus, dass medizinische Maßnahmen, wenn sie entwickelt sind, in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch hierzulande angewendet werden (I.3w). Andere Paare lehnten die PID für sich selbst ab, da das schätzenswerte menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginne (I.4/9/6). Andere sahen die Gefahr, dass die Anwendungsgebiete der PID ausgeweitet werden (z. B. um die Feststellung von auf Augenfarbe, behandelbare Krankheiten wie Brustkrebs), wenn diese in Deutschland erlaubt werde (I.3/78/15). Kritisch betrachtet wurde die PID zudem, weil wissenschaftlich noch ungeklärt sei, wie sich die PID auf die Einnistung des Embryos auswirke (I.6/12). Ferner wurde argumentiert, dass die PID, ähnlich wie die PND, unsicher sei und der Entwicklungsverlauf von Erkrankungen schwierig vorhersagbar sei bzw. dass es wegen des doppelten Genomsatzes unklar sei, welches Gen sich durchsetze (I.2/3/13). Ein Befragter (I.2) nannte in dem Zusammenhang die Polkörperdiagnostik (PKD), die seit 2002 an deutschen reproduktionsmedizinischen Zentren etwa im Rahmen einer IVF angewendet werden kann, sich aber noch im experimentellen Stadium befindet. Dabei wird die Eizelle vor der Verschmelzung mit der Samenzelle auf genetische Veränderung des Chromosomensatzes untersucht. Der Nachteil der PKD besteht darin, dass nur Chromosomenstörungen diagnostiziert werden, die von der genetischen Mutter stammen. Insofern sei die PKD sinnlos, wenn das Erbgut des genetischen Vaters beschädigt ist, argumentierte der Interviewpartner (I.2). Kritisiert wurde von darüber hinaus die mediale Berichterstattung, die den potenziellen Eltern die falsche Hoffnung suggeriere, dass die PID eine Garantie auf ein gesundes Kind bietet, das darüber hinaus bestimmte Merkmale aufweist (Augenfarbe, Intelligenz), die sich die Eltern wünschen (I.13). Ein Paar sah die Gefahr, dass ÄrztInnen zur PID drängen könnten, um ihren Profit zu erhöhen, obwohl sie wüssten, dass diese Diagnostik unsicher sei. Besonders medizinische Laien wären sich der Nachteile der PID häufig nicht bewusst und könnten von ärztlicher Seite dazu gedrängt werden, diese vornehmen zu lassen (I.2).