Viele hier wissen ja, dass mein Vater vor knapp zwei Monaten starb. Und wir alle - ich, Isabel, meine Mutter, meine Schwester, mein Partner (der ihn leider nur ein 8 Monate kannte) und mein Schwager haben noch immer daran zu knabbern. Er war der Mittelpunkt der Familie - und da fehlt etwas, wenn man nach Hause kommt und er sitzt nicht in seinem Sessel im Wohnzimmer. Es fehlt etwas, weil man das Geklappere seiner Halskette nicht mehr hört. Es fehlt einer, der einfach handelte, ohne grosse Worte zu sprechen. Es fehlt einer - und er wird immer fehlen...
Ich bin Christin. Mein Vater war ein gläubiger Mensch (der jedoch nicht jeden Sonntag in der Kirche war). Wir wurden einigermassen christlich erzogen. Ihm waren christliche Werte wichtig. Ein Leben nach dem Tod - daran habe ich lange nicht geglaubt, bis mir ein Bekannter meiner Mutter diese Geschichte erzählte (er ist übrigens Moslem): dieser Bekannte war schwer krank, hatte eine schwere OP, sein Leben hing am seidenen Faden und er lag einige Zeit im Koma. Und er sagt, er hatte in der Zeit einen "Traum". In diesem "Traum" sah er eine Lichtung, da standen seine verstorbenen Eltern und seine verstorbene Schwester. Und die drei hätten zu ihm gesagt: "Was willst du denn hier???? Wir können dich hier noch gar nciht gebrauchen - geh wieder zurück!". Und nach dem Tod meines Vaters: ich sass mit meiner Mutter im Wohnzimmer auf dem Boden und wir sortierten Versicherungsunterlagen (war ca. 2 Wochen nach seinem Tod). Wir suchten eine Versicherungspolice und wurden fast wahnsinnig, weil wir das Ding nicht fanden. Irgendwann fingen wir beide an über meinen Vater zu "schimpfen". Und auf einmal ging im ganzen Haus das Licht aus. Die Sicherung war rasugeflogen. Zufall? Ich weiß es nicht.
Mein Vater war Krebskrank (Leberkrebs - siehe Zuckerschneckles Blog) und jung. Er starb einen Monat vor seinem 60. Geburtstag und am Tag vor dem 61. Geburtstag meiner Mutter. Er wusste, dass er sterben muss. Und er wusste auch, dass wir es wussten, obwohl er es uns nie direkt gesagt hatte (aber ich habe 4 Grosseltern an diese Krankheit verloren, und meine Ex-SM). Aber er wollte auch für uns kämpfen - willigte am Tag bevor er starb noch in eine neue Chemo ein. Mein Vater starb so, wie er nie sterben wollte - abgemagert, ausgezehrt, als Pflegefall. Er war immer ein sehr stolzer Mann. Aber - und das hat er seiner Ärztin erzählt - er sei dankbar gewesen, für alles: 3 Töchter, eine Enkeltochter, die er so gross werden habe erleben dürfen. Und seine Frau. Nicht zurfällig starb er in den Armen der beiden Frauen, die den meisten Platz in seinem Herzen hatten: meine Mutter und meine Tocher.
Und, als er starb, hatte er Frieden mit "seinem" Gott geschlossen. So hat er das einen Tag vorher gesagt. Seine letzten Worte waren: "Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr!" Aber erst als meine Mutter zu ihm sagte: "Wenn du nicht mehr kannst, dann brauchst du nicht mehr kämpfen - du darfst gehen!" Woher meine Mutter in dem Moment die Kraft nahm - ich weiß es nicht. Vielleicht weil sie kurz vorher das Buch "im Himmel warten Bäume auf dich" gelesen hat? (Wurde vor kurzem hier auch vorgestellt).
Seine Ärztin hat uns auf jeden Fall gesagt, dass sie schon sehr viele tote Menschen gesehen hat - aber nur sehr wenige hätten so friedlich ausgesehen - als würde er schlafen. Er sei wirklich in Frieden heimgegangen.
Was uns danach jetzt hilft - hm, einiges.
Die Erinnerungen - denn nur die Menschen, die man vergisst sind tot. Solange man sich an einen Menschen erinnert, solange lebt er in den Herzen derer weiter.
Das Wissen - da wo er jetzt ist, hat er keine Schmerzen mehr
Die Sterne - meine Tochter ist felsenfest davon überzeugt, dass es seit der Nacht vom 19.07. auf den 20.07. als er starb ein neuer Stern am Himmel ist. Da würde jetzt ihr Opi sitzen und auf uns alle, besonders aber auf sie, aufpassen. (hab ich Ilona vorgestern schon geschrieben)
Und ein Satz eines sehr guten Freundes von mir (wir kennen uns seit 27 Jahren) auf meine Frage "Warum?" Er sagte: "der liebe Gott holt die Guten immer sehr früh - damit sie das Schlechte auf der Welt nicht mehr mit ansehen müssen!"
Meine SM starb mit 37 an Leukämie - da war meine Tochter gerade 2 jahre alt. Mein Schwager mit 25 - er wäre heute genau so alt wie ich. Meine erste Liebe hat sich mit 22 unter den Zug gelebt. Meine Grosseltern sind alle gestorben (meine letzte Oma erst vor 10 Monaten). Schwer war das immer - aber nichts war so schwer, wie beim eigenen Vater. Er war erst 59 - hatte noch so vieles vor. War eigentlich so glücklich, dass seinen Lieben endlich auch glücklich waren. Ich wache heute noch tränenüberströmt auf. Seine Enkeltochter war übrigens die einzige, die sich an seinen Wunsch gehalten hat: auf meiner Beerdigung soll keiner schwarz tragen!
Es wird jeden Tag ein kleines bisschen leichter. Aber es gibt immer Momente - da ist es schwer.
Wir haben ihm übrigens noch Briefe geschrieben - die kamen mit ins Grab. Jeder einen. Und der Bestatter hat ein Foto von seiner geliebten Isabel noch in die Urne getan.
"Mama, Opi sitzt da oben und passt auf uns alle auf!" Isabel, 15 Jahre
"Tod ist etwas Meganormales, etwas, was ganz fest zum Leben dazugehört." Horst Lichter