Früher Stress bremst das Gehirnwachstum

Nebelwolf

Namhaftes Mitglied
Früher Stress bremst das Gehirnwachstum
Die ersten zwei Jahre unseres Lebens entscheiden, wie sich der für soziale Interaktionen verantwortliche Gehirnteil entwickelt




Bedrohte Bindung: Bekommtem Baby nicht ausreichend Zuwendung und kognitive Anregungen, erschwert das eine reife Sozialentwicklung

Literatur
Sue Gerhardt: Why love matters - how affections shape a baby's brain, Verlag Brunner-Routledge, 2004

Kinder brauchen Liebe. Das ist hinlänglich bekannt. Neu ist jedoch die Erkenntnis, dass Liebe nicht nur die emotionale Reifung prägt, sondern auch die Gehirnstruktur beeinflusst. Als Wissenschaftler rumänische Waisenkinder studierten, fanden sie ein „schwarzes Loch", wo normalerweise der or-bitorrontale Kortex sein sollte. Das ist Jener Teil des Gehirns, der verantwortlich ist für die Entwicklung von Empathie und die Verarbeitung von Emotionen, für die Erfahrung von Schönheit und Genuss sowie die Fähigkeit, klug mit anderen umzugehen.
Wie kann Liebe (oder ihr Fehlen) die Gehirnstruktur beeinflussen? Aktuelle neurowissen-schaftliche und biochemische Studien haben unter Einsatz von Gehirnscans bewiesen, dass das Nervensystem nicht nur auf emotionale Stimuli reagiert, sondern sich dabei auch ausformt. Das Babygehirn ist noch ziemlich unstrukturiert und benötigt Stimulation zur Entwicklung - und zwar nicht nur kognitive Anregungen in Form von Spielen, Farben oder Musik, sondern auch liebevolle Begegnungen. Freundliches Lächeln, Augenkontakt und das Gefühl, umsorgt zu sein, erzeugen Wohlbehagen und setzen gleichzeitig im präfrontalen
Kortex Hormone frei - in jenem Gehirnbereich also, der sich in den ersten Jahren formt und für eine reife Sozialentwicklung entscheidend ist. Je mehr positive soziale Interaktionen stattfinden, umso besser vernetzt ist der präfrontale Kortex.
Damit wird die - bisweilen angezweifelte - Bindungstheorie von John Bowiby durch biologische Forschung gestützt. Bowibys Theorie besagt, dass die Entwicklung eines Kindes durch frühkindliche Bindungserfahrungen positiv oder negativ beeinflusst wird.
Eine Studie an der Universität von Wisconsin (USA) konnte zeigen, dass die Art und Weise, wie Menschen auf Stress reagieren, bereits im Kindesalter festgelegt wird: Babys, die mit gestressten oder depressiven Müttern zusammenlebten, waren später überdurchschnittlich anfällig, auf schwierige Situationen mit massiver Ausschüttung von Stresshormonen

zu reagieren. Interessanterweise hatten Kinder, die ihre Mütter erst in der späteren Kindheit depressiv erlebten, nicht die gleiche überstarke Reaktion. Frühe - üble - Erinnerungen prägen also nicht nur das Verhalten, sondern beeinflussen nach den neuesten Erkenntnissen auch physiologische Reaktionsmuster im Gehirn, die festlegen, wie wir mit Gefühlen (und anderen Menschen) umgehen.
Die scheinbar simple Frage, ob ein hilflos schreiendes Baby hochgenommen werden sollte oder nicht, ist angesichts dieser Erkenntnisse nicht mehr eine Frage des Erziehungsstils. Unbestrittene Tatsache ist, dass Babys ihren eigenen Stress nicht abbauen können - sie können sich nicht bewusst ablenken, wenn sie erregt sind. In dieser Situation produziert der Hypothalamus Si-gnalstoffe, die zurAusschüttung des Stresshormons Kortisol führen. In späteren Jahren reagiert das Hirn dann auf Stresssituationen entweder mit hormoneller Überproduktion (Ängste und Depressionen sind die Folge) oder mit ünterversorgung (emotionale Kälte und Aggression).
Die Schlussfolgerung aus den aktuellsten wissenschaftlichen Erkenntnissen kann nur lauten, dass ein Baby in den ersten Lebensjahren eine Person braucht, die ihm vertraut ist, die spürt, wie es dem Kind geht, die es anlächelt und zärtlich zu ihm ist. Die Psychotherapeutin Sue Gerhardt zweifelt, ob Fremdbetreuung diese Erziehungsqualität bieten kann. »Fremdbetreuten Kleinkindern fehlt möglicherweise die Erfahrung, von besonderer Bedeutung für einen anderen Menschen zu sein. Und sie lernen, dass sie auf Aufmerksamkeit zu warten haben."
Aber auch Eltern brauchen in den ersten Jahren mehr Unterstützung, etwa psychotherapeutische Hilfe, wenn es Schwierigkeiten mit dem Kind gibt, oder gemeinschaftliche Einrichtungen, um Isolation zu überwinden.
Walter Braun

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PSYCHOLOGIE HEUTE NOVEMBER 2004
 

eva.m.p

Pause
Sehr interessanter Text - bestätigt auch etwas mein Gefühl...

Eine Studie an der Universität von Wisconsin (USA) konnte zeigen, dass die Art und Weise, wie Menschen auf Stress reagieren, bereits im Kindesalter festgelegt wird: Babys, die mit gestressten oder depressiven Müttern zusammenlebten, waren später überdurchschnittlich anfällig, auf schwierige Situationen mit massiver Ausschüttung von Stresshormonen

da frage ich mich jedoch nur, wo dort die Grenze zu ziehen ist. Denn jeder Mutter ist sicherlich mal gestresst - ab wann hat es tatsächlich auswirkungen auf das Kind und dessen Entwicklung?

und wie ist es bei einer Mutter mit Depressionen, die ihrem Kind jedoch alles an Liebe und Geborgenheit gibt...?
 

Susanne

Namhaftes Mitglied
Eva, deine letzte Frage interessiert mich auch...

Meine Depressionen sind zeitweise enorm aber trotzdem hab ich Sarah lieb und versuch für sie da zu sein - bislang klappt das auch...
 

Nebelwolf

Namhaftes Mitglied
Original von eva.m.p
Sehr interessanter Text - bestätigt auch etwas mein Gefühl...

Eine Studie an der Universität von Wisconsin (USA) konnte zeigen, dass die Art und Weise, wie Menschen auf Stress reagieren, bereits im Kindesalter festgelegt wird: Babys, die mit gestressten oder depressiven Müttern zusammenlebten, waren später überdurchschnittlich anfällig, auf schwierige Situationen mit massiver Ausschüttung von Stresshormonen

da frage ich mich jedoch nur, wo dort die Grenze zu ziehen ist. Denn jeder Mutter ist sicherlich mal gestresst - ab wann hat es tatsächlich auswirkungen auf das Kind und dessen Entwicklung?

und wie ist es bei einer Mutter mit Depressionen, die ihrem Kind jedoch alles an Liebe und Geborgenheit gibt...?


gute fragem eva... die nächste bitte :-D
ich denke, es wird von extremen ausgegangen. genauso fliessend wie der übergang dorthin ist, werden auch die kids sein. es gibt eben mehr zwischen schwarz und weiss.
und mal depressiv zu sein, oder mal aggressiv auf etwas zu reagieren (ich meine damit keine gewaltausbrüche physischer art).... wird nicht diese negativ ausiwrkungen haben, als wenn die eltern jeden tag so reagieren und leben.

es ist unter normalen umständen auch wichtig für ein kind, seine eltern in wut zu sehen. wie sie umgehen mit wut, ..im streit etc. genauso werden sie es auch tun in ihrem späteren leben.

vorleben ist da wohl das hauptsächliche..

aber es gibt eben wohl auch viel dazwischen. wichtig ist ja letztlich, dass sich das kind geborgen geliebt und aufgehoben fühlt.
 
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