Hallo,
@Maju: Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die den Einfluss auf Arbeitsaufnahme auf die Pubertät im Allgemeinen, aber auch die Auswirkungen der Ausübung von Erwachsenenfunktionen auf die Entwicklung von Kindern im Besonderen, untersuchen. Ich schreibe das so schwülstig, weil gerade die Auswirkungen von früher, später, langer, kurzer Pubertät auf die emotionale Gesamtentwicklung interessant sind. Denn: Dass beispielsweise ein früher Eintritt ins Erwerbsleben (aber auch andere Dinge) Auswirkungen auf die Pubertätsentwicklung hat, gilt als unbestritten. Die Fragen, die dann daraus resultieren sind die, ob das gut oder schlecht ist und wie es sich auf die emotionale Entwicklung auswirkt. Die Antworten muss man sehr diffenziert sehen, denn man kann damit sehr, sehr viel Unfug betreiben.
Denn im Leben eines Menschen ist die Pubertät ein extrem wichtiger Abschnitt, der zudem allerdings auch noch sehr komplex ist: Dass, was man landläufig als "Pubertät" bezeichnet, ist nur ein Teil der emotionalen Entwicklung im Rahmen der Pubertät - die Entwicklung einer eigenen Identität, mit der auch eine Loslösung von den Eltern einher geht. Dieser Teilprozess lässt sich durch äußere Einflüsse beschleunigen oder verlangsamen: Ein Kind, dass die kleine Schester betreuen muss, oder ein Jugendlicher, der mit 13 voll berufstätig ist, oder aber Kinder und Jugendliche wie einige meiner Söhne, die ihr Leben de facto auf der Straße verbringen, schließen diesen Teilprozess früh, auch sehr früh ab. Im Vergleich dazu braucht ein Jugendlicher, der auf die Große Schule geht, und damit auch länger von den Eltern abhängig ist (und darüber hinaus auch oft ihren Erwartungen und Forderungen an seine Persönlichkeit ausgesetzt ist), länger, um sich zu lösen, und um eine eigene Identität zu entwickeln - das kann dann sogar bis in die 20er Jahre hinein dauern. Ich kenne die Studie nicht, die Du zitierst, aber ich nehme an, dass es dies ist, um das es dabei geht.
Allgemein gesprochen, muss ich allerdings davor warnen, aus diesen Ergebnissen heraus eine Meinung zu bilden, denn es ist oft so, dass Studien nur einen Teil eines Ganzen abbilden (die Dinge sind zu komplex, um sich als Forscherteam immer mit allem zu befassen).
Sehr sehr grob umschrieben geht nämlich mit der Identitätsentwicklung eine ganze Reihe von weiteren Prozessen im Rahmen der Pubertät einher, die teils voneinander abhängen, und teils aufeinander aufbauen. Ganz wichtig ist natürlich die körperliche Entwicklung - im Normalfall, der leider in großen Teilen der Welt aus wirtschaftlichen und / oder sozialen Gründen nicht die Norm ist, sollte die Identitätsentwicklung auf der körperlichen Entwicklung aufbauen, wobei ich dazu sagen muss, dass auch dies Probleme mit sich bringen kann: Vor allem bei Mädchen setzt in westlichen Ländern auf Grund einer sehr proteinhaltigen Ernährung die körperliche Pubertät zunehmend früher ein, was wiederum zu psychischen Belastungen führen und damit die emotionale Pubertät behindern kann - genauso wie eine verpätete oder gar nicht einsetzende körperliche Entwicklung die emotionale Entwicklung verzögert oder aufhält: Der Erwachsene bleibt ein Kind, auch wenn er unabhängig ist und im Erwerbsleben steht (wobei die meisten Betroffenen ernshafte Probleme damit haben).Weil das ein Thema ist, dass immer mal wieder im Forum aufkommt: Dies passiert vor allem bei Jungen, wenn ein Hodenhochstand zu spät oder gar nicht behandelt wird.
Denn unter der Haube werkeln Hormone, wie zum Beispiel Testosteron, neben einer Vielzahl von anderen Hormonen, und sorgen dafür, dass sich der Körper entwickelt, und mit ihm auch der Geist. Die gesamte Entwicklung, von Anfang bis Ende, braucht Zeit, und lässt sich insgesamt auch nicht beschleunigen, denn dazu sind die hormonellen Abläufe zu komplex. Diese hormonellen Entwicklungen sorgen auch dafür, dass die Fähigkeit, rationale, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, je nach Entwicklungsstand eingeschränkt ist. Denn die Hormone befinden sich in dieser Phase oft in einer Dysbalanz und erzeugen im Menschen temporär Gefühle und Reaktionen, mit denen der Mensch nicht umgehen kann, wobei das ein Teil ist, den man trainieren und damit auch die Identitätsbildung beeinflussen kann.
Das bedeutet aber auch, dass im Idealfall eine Anleitung durch einen Erwachsenen erfolgen muss. Das Ausbildungssystem, wie es in Deutschland besteht, ist eine Antwort darauf: Es ermöglicht es, Jugendlichen ihre persönliche Entwicklung abzuschließen, und dabei einen Beruf zu erlernen. Dass sie damit früher unabhängig werden, als ein Gymnasiast, ist dabei logisch. Doch die Gesamtentwicklung wird von beiden, wenn sie beide gesund sind, ungefähr gleichzeitig abgeschlossen.
Ein ganz großes Problem, das ich sehe, ist das, dass solche Studien gerne von interessierter Seite dazu benutzt werden, um ein gesellschaftliches Phänomen oder aber auch persönliche Vorlieben zu rechtfertigen. In meinem Job zum Beispiel sind das Menschen in einer bestimmten Bevölkerungsschicht meines Landes, die solche Argumente ins Feld führen, um zu rechtfertigen, dass Mädchen bereits mit 13 oder 14 (an ältere Männer) verheiratet werden (was bei uns verboten ist). Und auch von pädo- oder adophiler Seite wird immer gerne ins Feld geführt, wir würden uns ans Kindsein klammern, während doch in anderen Ländern die Mädels in anderen Ländern bereits erwachsen seien.
In den betreffenden Studien steht allerdings nichts dergleichen drin: Auch ein 15jähriger arbeitender Familienvater im Sudan oder eine 13jährige Mutter in Vietnam befinden sich nach wie vor in der Pubertät. Die psychischen Folgen der Kinderehen werden in Ländern wie diesen erst seit kurzem erforscht, denn es gibt in diesen Ländern erst seit kurzem eine funktionierende Wissenschaft. Erste Ergebnisse sind jedoch mehr als alarmierend: Mit diesen Kindern können keine funktionierende Gemeinwesen aufgebaut werden, und das nicht nur, weil es ihnen an Bildung dafür fehlt.
Viele Grüße,
Ariel