Hallo,
Ich denke, dass er einfach zur Ruhe kommt. Mein Hauptgebiet ist (neben ganz viel Verwaltungsarbeit) ja der Jugendstrafvollzug und das, was tanja beschreibt, fällt mir dort immer wieder auf. Die ersten paar Tage sind die Hölle, bevor dann eine tiefe Ruhe einsetzt, wenn die Arbeit unseres Personals zu wirken beginnt - die Kids besinnen sich auf sich selbst. Die meisten von denen sind so aufgerieben zwischen dem Zuhause, der Technologie, den Freunden, dass sie sich selbst gar nicht mehr kennen. Meist kommt in diesem Moment erst die Erkenntnis, warum man in dieser Situation ist, und was man selbst eigentlich will. Sehr viele der Kids identifizieren sich auch im Jugendalter sehr stark über ihre Eltern, haben sich noch nicht von ihnen gelöst, und erwarten, dass Mamma und Pappa auch in furchtbaren Situationen noch die Hand über sie halten.
Die Manipulation, die dem inne wohnt, ist natürlich: Sie ist Teil der Überlebensstrategie eines Kindes - würden Kinder uns nicht so manipulieren können, dass wir für sie sorgen, könnten sie nicht überleben. Nur irgendwann muss die Manipulation aufhören, weil Kinder eben zu Jugendlichen werden, und damit auch zu Menschen, die für sich selbst verantwortlich werden.
Ich denke, dass dies in diesen Tagen mit Tanjas Sohn passiert: Zum ersten Mal ist er für sich selbst - sein Verhältnis zu Tanja, zu seiner Familie wird so neu definiert, und Tanja macht es gut. Sie ist für ihn da. Sie sieht ihn als Menschen, nicht als Monster, der ihr das Leben zur Hölle macht. Die beste Therapie würde nichts bringen, wenn er keine Mutter hätte, zu der er nach Hause gehen kann, und nach der er Heimweh haben kann.
Allein schon, dass er dieses Gefühl hat, ist etwas Positives: Ich bezweifele, dass er das vorher schon mal gespürt hat. Was da in den ersten Tagen war, ist einfach nur Schock: Es wird ernst. Es war gut, dass die Polizei das gemacht hat. Denn dann muss die Familie das nicht machen. Sie darf nicht so erscheinen, als würde sie "wegschicken".
Heimweh ist natürlich augenscheinlich etwas Negatives: Wir sind nicht da, wo wir sein wollen. Aber wenn wir unten drunter schauen, dann sehen wir, dass Heimweh immer ein Zuhause erfordert, nach dem wir uns sehnen können. Und damit kann daraus etwas Positives werden: Würde Tanjas Sohn sie nicht als Mutter sehen, und dort, wo er wohnt, nicht als Zuhause, dann hätte er kein Heimweh. Und: Mit dem Heimweh sieht er seine Familie auch als Familie, als Menschen, und nicht nur als nervige Typen, die ihm ständig sagen, was er machen soll.
Ich denke, dass Tanja genau das Richtige zum richtigen Zeitpunkt gemacht hat. Um ehrlich zu sein, würde ich mir in meinem Job mehr solche Eltern wünschen, denn die beste Therapie bringt nichts, wenn die Eltern emotional nicht dabei sind.
Viele Grüße,
Ariel