Hallo,
und jetzt möchte ich gerne was zu Ilona und Maju sagen: Ich finde Diskussionen gut. Wir sollten öfter auch theoretisch über Dinge diskutieren, damit wir weiter gekommen. Man muss aus der Diskussion nicht mit einer anderen Meinung heraus gehen, aber ich würde mir wünschen, dass zumindest jeder die Bereitschaft mitbringt, seinen eigenen Standpunkt kritisch hinterfragen zu lassen. Vor allem aber würde ich mir wünschen, dass sich jeder der Diskussionsteilnehmer die Fakten anschaut, selber nach Fakten forscht und seine Erkenntnisse auf den Tisch legt, und dann eine an der Sachfrage orientierte Debatte geführt wird.
Die wäre hier das Weinen. Warum ist das Thema wichtig? Weil es immer und überall präsent ist, von Geburt an bis zum Tode. Man weint, um sich selbst zu reinigen; man weint, um anderen eine Gefühlslage mitzuteilen; man weint nie ohne Grund. Die Entscheidung darüber, wie wir einem weinenden Menschen umgehen wollen, wird wiederum auf der Grundlage von psychischen Reaktionen des oder der auf den Weinenden, die Weinende Reagierenden vom Reagierenden getroffen.
Wenn unsere Kinder weinen, dann möchten wir gerne etwas dagegen tun, denn wir lieben unsere Kinder, wir möchten, dass es ihnen gut geht. Und wenn ein Mensch weint, ist das für uns das Signal: "Es geht mir nicht gut". Und in gewisser Weise stimmt das so: Vielleicht reinigt sich der Körper, weil da mehr Zeug drin ist, als da hin gehört. Vielleicht ist ein Anzeichen für eine Krankheit. Vielleicht ist es ein Signal dafür, dass etwas benötigt wird: Zuneigung. Oder auch eine Sache.
Ich erwähne das Materielle, weil es im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zunehmend ein Faktor für das Weinen geworden ist: Es kommt seit den 70er jahren häufiger vor, dass Kinder weinen, um den Willen nach einem Ding zum Ausdruck zu bringen, und das hat etwas mit den Medien zu tun: Werbung, aber auch die Plazierung von Produkten im Supermarkt gepaart mit den Werbeeffekten von Produktverpackungen, die sich direkt an Kinder wenden, haben einen direkten Effekt auf das, was Kinder ohne es zu wissen, als ein "Grundbedürfnis" definieren, womit sich auch das Erscheinen von Tränen zum Ausdruck von Bedürfnissen gewandelt hat. Diese Werbung spielt damit: Dass Mamma an der Kasse keine Zeit hat, weil hinter ihr Tausend Leute warten, und dass Mamma natürlich nicht will, dass ihr Kind weint, weil das Weinen auf sie einen psychologischen Effekt hat, auch wenn sie natürlich genau weiß, dass das Kind die Extraportion Milch nicht nur nicht braucht, sondern dass sie auch schädlich für ihr Kind sein kann.
Aber: Mit dem Weinen sind die Dinge nicht so einfach. Natürlich ist es sinnvoll, im Supermarkt nicht darauf einzugehen, weil das Kind im Unterbewusstsein schnell lernt, dass man seinen Willen (der für das Kind ein Bedürfnis zu sein scheint, aber tatsächlich oft keines ist) so am Besten durchsetzt. Aber ich halte es für genauso fatal, seine Reaktion stets an der Annahme auszurichten, dass das Kind ja jetzt gerade nicht wirklich was brauchen kann, als bei jeder Träne gleich den Katastrophenalarm auszulösen. Man muss sich jeden Einzelfall genau anschauen, und dann seine Entscheidung treffen, weil Weinen so unglaublich viele Gründe haben kann.
Deshalb möchte ich mich Maju auch nicht anschließen: Ja, man kann durch eine positive Lebenseinstellung viel Gutes an seine Kinder weiter geben. Man kann ihnen beibringen, dass ein Tief, ein Rückschlag im Leben nicht das Ende ist, und es bald wieder aufwärts geht. Das nennt man Hoffnung. Und man kann eine Familie durch übermäßige Fürsorge schnell zum Dauer-Katastrophengebiet machen. Aber auf mich wirken Deine Ausführungen ein bisschen so, als würdest Du Dein eigenes Glücklichsein, deine Lebenseinstellung Deine Reaktion auf die Tränen Deiner Kinder leiten lassen, und sie zum Glücklichsein "zwingen", indem Du sagst: "Ihr habt doch keinen Grund zum Weinen".
Das Problem dabei ist, dass Dir das in ein paar Jahren unter Umständen Schwierigkeiten im Umgang mit Deinen Kindern bringen kann: Die Gefahr, dass Jugendliche Erwachsenen nicht vertrauen, wenn man ihre Gefühle klein redet. denn wichtig ist immer nicht das, was man selbst als schlimm empfindet, sondern was der oder die Weinende als schlimm empfindet.
Und bevor ich jetzt die Straße runter gejagt werde, möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass das hier eine Diskussion ist: Man darf auch mal was Kritisches sagen. Muss man sogar, denn das Schlimmste ist eine Diskussion, die so dahin plätschert.
Viele Grüße,
Meister Proper