Babys schlafen nicht nach Plan
Dass Babys erst langsam einen Tag-Nacht-Rhythmus entwickeln, ist hinlänglich bekannt. Aber dass der Schlaf als solcher sich deutlich von dem eines Erwachsenen unterscheidet, wissen nur wenige.
Schlafphasen
Der Schlaf wird generell in zwei Phasen unterteilt: In den aktiven und den ruhigen Schlaf, bestehend aus vier Stufen. Da sich in der aktiven Phase die Augen hin- und herbewegen, wird diese Phase auch REM-Phase (Rapid-Eye-Movement) genannt. In der ruhigen Phase sind auch die Augen bewegungslos, so dass diese Phase auch Non-REM-Phase genannt wird. Welche Mutter kennt nicht das Erlebnis, wenn sie ihr Kind in einer REM-Phase versucht, ihr Kind abzulegen, nachdem es an der Brust eingeschlafen ist. Keine Chance. Je kleiner das Kind ist, umso höher ist der Anteil an REM-Schlaf.
Quelle: SEARS, W. 1996: Schlafen und Wachen. Ein Elternbuch für Kindernächte.
Die Grafik zeigt, dass der Anteil an REM-Phasen bei Neugeborenen 50% des Gesamtschlafes umfasst. Bei Zweijährigen sind es noch 25%. Die Verteilung dieser Phasen ist von verschiedenen Faktoren abhängig und verändert sich auch immer wieder einmal. Den Rest der Schlafzeit verwenden Babys zu 35-45% auf Non-REM-Schlaf und zu 10-15% auf die Übergangsphasen. Bei Erwachsenen hingegen wird der Anteil an Übergangsphasen immer geringer. Auch die einzelnen Stufen der Non-REM-Phase sind bei Babys nur schwach ausgeprägt, so dass ein Großteil des Schlafs aus Übergangs- und unbestimmbarem Schlaf besteht. Vor diesem Hintergrund leuchtet es ein, warum Babys so oft erwachen, wenn man versucht, sie abzulegen.
Schlafzyklen
Als Schlafzyklus wird die Zeit bezeichnet, die für einen Durchgang REM- und Non-REM-Schlaf gebraucht wird. Ein durchschnittlicher Erwachsener durchläuft im Schnitt vier solcher Zyklen à 90 Minuten pro Nacht. Ein Baby hingegen hat deutlich kürzere Schlafzyklen und häufigere REM-Phasen: In etwa doppelt so viele wie ein Erwachsener, demzufolge auch deutlich mehr Übergangsphasen. Es gibt also bei einem Baby deutlich mehr kritische Momente, in denen es aufwachen könnte.
Babys schlafen anders ein
Oft berichten Mütter, dass ihre Babys erst nach 20 oder 30 Minuten ruhiger werden. Vielen fällt das negativ auf, weil ein Erwachsener recht schnell aus dem Wachzustand in den ruhigen Schlaf gleiten kann. Ein Baby muss diese Fähigkeit erst entwickeln. Sie durchlaufen zunächst eine REM-Phase, die etwa 20 Minuten dauert, gefolgt von einem Übergangsschlaf und schließlich die Non-REM-Phase. Mit zunehmendem Alter erlangen die Babys mehr und mehr die Fähigkeit, direkt vom Wachzustand in den ruhigen Schlaf zu gleiten. Das Alter, in dem diese Entwicklung abgeschlossen sein wird, ist genauso individuell verschieden wie bei allen anderen Entwicklungsschritten auch. Und ebenso wie bei allen anderen Entwicklungsschritten auch, ist es nicht notwendig, diesen zu beschleunigen. Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.
Tag und Nacht-Rhythmus
Wir Erwachsenen haben für gewöhnlich kein Problem damit, dass nachts Schlafenszeit und tags Wachzeit ist. Babys haben jedoch die ganze Schwangerschaft mehr oder weniger in Dunkelheit verbracht und haben keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht erlebt. Wann und wie ein Baby seine Wachphasen am Tag und die Schlafphasen in der Nacht ausweitet, ist ebenfalls eine ganz individuelle Entwicklung, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird.
Schlafen „lernen“
Wie wir oben gelesen haben, ordnet das Baby sein Schlafmuster im Laufe des ersten Lebensjahres. Es erwirbt so etwas wie Schlafreife: die Schlafstunden werden insgesamt weniger, die Menge der REM-Phasen wird geringer, der ruhige Schlaf wird mehr und die Schlafzyklen verlängern sich. Das bedeutet auch, dass die kritischen Momente, in denen das Baby durch Reize aufwachen könnte, weniger werden. Die meisten Kinder schlafen dann auch durch, d.h. von Mitternacht bis 5 Uhr morgens. Natürlich kann dies nur ein Richtwert sein, denn jedes Kind entwickelt sich anders. Es soll hier vor allem verdeutlicht werden, dass im ersten Jahr eine Entwicklung stattfindet. Auch bei den älteren Kindern ist der Schlaf immer wieder veränderbar. Es sind dann nur andere Einflüsse: Angst, Albträume, Zähne, Infekte oder Impfungen führen immer wieder dazu, dass Kinder ihre Schlafgewohnheiten verwerfen. Da hilft es nur, flexibel zu sein und sich als Eltern an die Gegebenheiten anzupassen.
Vorteile
Sears schreibt in seinem Buch, dass der REM-Schlaf und die Gehirnentwicklung signifikant voneinander abhängen. Demnach ist der REM-Schlaf als Autostimulierung des sich entwickelnden Gehirns zu betrachten, indem er visuelle Bilder produziert, die die Entwicklung fördern sollen. Die verschiedenen Schlafmuster bestätigen dies. Mit zunehmendem Alter wird der Anteil an REM-Schlaf kleiner und kleiner, da das Gehirn zunehmen Reize von außen erhält und die Reize von innen während der REM-Phase nicht mehr braucht. Als weiterer Vorteil dieses Schlafmusters ist die Bedürfnisbefriedigung zu sehen. Je kleiner das Baby, umso geringer sind seine Möglichkeiten, seine Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Würde es im gleichen Muster schlafen wie ein Erwachsener, würde es vielleicht verschlafen, dass das Bäuchlein leer ist und es dringend mal wieder stillen müsste. Oder es würde nicht bemerken, dass ihm zu kalt oder zu warm ist. Oder sogar, dass seine Nase verstopft ist und es nicht richtig atmen kann.
Warum erzählen wir Ihnen all dies?
Weil wir vermitteln wollen, dass wir als Eltern nur wenig bis gar keinen Einfluss darauf haben, wann unser Kind besser oder durchschläft. Natürlich können wir eine angenehme Umgebung schaffen, es liebevoll betreuen und begleiten. Aber es muss nicht mit sechs Monaten zwölf Std. am Stück schlafen, vielleicht macht es das mit zehn Monaten oder erst mit drei Jahren. Und weil wir aufzeigen wollen, dass die Fähigkeit, durchzuschlafen, z.B. nicht davon abhängt, wie viel Brei ihr Kind am Abend verspeist hat. Es wird das Durchschlafen von ganz allein entwickeln. Und dass das seine Zeit dauert, ist von der Natur so gewollt und eingerichtet. Dem Kind einen Behandlungsplan aufzuzwingen, halten wir für einen massiven Eingriff in ganz normal entwickelte und vollkommen normale Schlafmuster. Und auch in die Ernährung. Antrainiertes Durchschlafen greift auch in das individuelle Essverhalten des Kindes ein. Die Natur hat Babys so programmiert, dass sie mehrmals täglich kleinere Mengen Muttermilch trinken, und nicht nach Plan bestimmte Mengen verspeisen. Wird ein Kind nun darauf dressiert, nachts mehr zu schlafen als es vom Entwicklungsstand her kann, greifen wir auch in das Essverhalten massiv ein. Daraus resultiert dann u.U. auch ein Problem mit der Milchmenge, die nicht mehr in dem Maße abgefragt wird, wie es das Kind bräuchte. Die Milchproduktion geht zurück. Sie sehen, die Dinge greifen unmittelbar ineinander. Gerade der Schlaf ist eine grundlegende Sache, die nicht unnötig beeinflusst werden sollte. Natürlich gehen wir hier von einem zeitgerecht entwickelten Kind ohne besondere Auffälligkeiten aus.