Ich höre doch noch eine Menge Zweifel raus hier bei den betroffenen Müttern.
Und das macht mich ehrlich gesagt sehr, sehr nachdenklich. Zumal in Kombination mit dem Buch, das ich oben angesprochen habe:
Nur Eltern können wirklich helfen
Da spricht einer aus praktischer Erfahrung (einer kinderpsychologischen Praxis), und er gibt u.a. Folgendes mit auf den Weg:
1. Es ist tatsächlich eine Frage, was eine "Aufmerksamkeitsstörung" - wie auch immer sie genannt wird und wie auch immer sie sich ausdrückt - eigentlich IST. Bergmann sagt, dass die Diagnose nichts ist als ein Zusammenzählen von Symptomen - die ihrerseits rein empirisch in diese Liste aufgenommen wurden. Sprich: Das Diagnosebild von ADHS ändert sich dauernd, wird angepasst. Die Kinder, die auf ADHS behandelt werden, tragen also dazu bei, die Diagnosetabellen zu aktualisieren. (Das wäre eine Erklärung dafür, warum die Diagnose so häufig getroffen wird...)
2. Ein Problem besteht auch darin, "Aufmerksamkeit" überhaupt zu definieren. Oft tritt der Verdacht "ADHS" erst in der Schule auf. Heutige Kinder haben aber scheinbar oft eine andere innere Ordnung als früher (innere Ordnung führt zu Aufmerksamkeit in dem Sinne, dass man einen bestimmten Aspekt seiner Umgebung in den Vordergrund rücken kann und gleichzeitig darüber wachen, dass er dort auch bleibt...) - es fällt ihnen schwer, sich auf die eindimensionalen Strukturen der Schule einzulassen. Ein didaktisches Problem in erster Linie - das zum Problem der Kinder gemacht wird. Die Schule passt nicht mehr für die Kinder - aber die Kinder sollen sich anpassen, nicht die Schule...
3. Hinsichtlich Therapien und ihren Erfolgen zieht Bergmann eine sehr nüchterne Bilanz:
Punkt a) die Medikation: Fakt sei, dass Ritalin und und co.
bei jedem lebhaften Menschen wirken in dem Sinne, dass sie beruhigend sind. Die Ausschlussdiagnostik sei also falsch: Nur weil Ritalin "wirkt", sei das noch lange kein Hinweis auf das tatsächliche Vorhandensein einer Störung.
Punkt b) Begleittherapien sind nett, die Wirkung ist aber in der Regel eher auf die Medikamente zurückzuführen. Verhaltenstherapie sein noch einigermaßen sinnvoll, aber auch nur dann, wenn sie nicht stur einen Fahrplan abarbeitet, sondern das Kind in seiner Einzigartigkeit wahrnimmt und sein Umfeld (die Eltern) mit einbezieht.
Letztendlich bleibt die Aufgabe, mit einem aufmerksamkeitsgestörten Kind umzugehen - mit ihm zu arbeiten - eine Aufgabe der Eltern! Und die psychologische Begleitung muss sich um diese Kernerkenntnis drehen: Die Eltern alleine haben die Kompetenz und das Wissen um ihr Kind, um ihm wirklich helfen zu können! Sie bringen auch ganz andere Ressourcen mit, die auch der beste, einfühlsamste Psychologe niemals haben wird (allem voran die feste Bindung zum Kind, die noch aus Kleinstkindzeiten stammt...).
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Mit kommt auch die Frage, ob es sich viele Psychologen und andere Leute, die Kinder diagnostizieren, nicht zu einfach machen. NICHT DIE ELTERN - sie machen es sich sicherlich nicht einfach. Ich könnte mit einem aufmerksamkeitsgestörten Kind auch nicht umgehen, ohne mir Hilfe zu holen! Aber der Kern der Hilfe muss darin bestehen, DAS KIND VERSTEHEN ZU LERNEN und herauszufinden, wie ich eben DOCH mit ihm umgehen und ihm helfen kann.