My dear James,
ja, 'verstrickt mit sich allmählich festziehenden Knoten dazwischen' trifft es wohl ganz gut. Und ich möchte FRÜH etwas dagegen tun und nicht erst abwarten, bis nichts mehr zu retten und unser Verhältnis dauerhaft belastet ist.
Einen besonderen Schulwunsch gibt es für sie nicht. Dazu hat sie eine zu vage Vorstellung davon, was später einmal auf sie zukommt. Ihr das so zu beschreiben, dass sie sich dann auch aktiv und aus Überzeugung damit auseinandersetzt, halte ich für schwierig bis unmöglich. In der Theorie will sie am liebsten supergut werden - aber wenn sie dann merkt, dass das mit Anstrengung verbunden ist, ist der gute Vorsatz doch schnell wieder vergessen und sie tröstet sich mit Schülern, die ja doch noch schlechter sind als sie. Sie hat auch keine so engen Freundinnen, die in ihr den Ehrgeiz wecken, genauso gut werden zu wollen und von denen sie sich dann mitziehen lassen würde; und so sind in der Hauptsache wir als Eltern gefordert, eine passende Schule für sie zu finden. Und das ist nach meinem aktuellen Ermessen diese Gesamtschule, die gleichzeitig NRW-Sportschule und somit sehr gefragt ist.
Ihr Berufswunsch pendelt derzeit zwischen Tierarzt oder Humanmediziner - je nachdem ob unseren alten Hund gerade etwas zwickt oder es Wehwehchen unter den zweibeinigen Familienmitgliedern gibt. Natürlich sage ich ihr dann, dass sie dafür aber gut in der Schule sein muss. Auch wenn die demografische Entwicklung ihre Ausgangssituation zum Schulende ein bisschen entschärfen wird, so bin ich überzeugt, dass sich am NC für das Studienfach Medizin nicht viel ändert. So erkläre ich ihr das natürlich nicht. ;D
Viel Geld will sie später jedenfalls verdienen (ein Pferd kostet ja schließlich ein paar Cent :zwinker

und so hat sie mich schon nach den verschiedensten Berufsbildern gefragt. Als ich ihr dann sagte, ein Frisör gehöre eher nicht zu denen, die sich mit immensem Reichtum konfrontiert sehen, meinte sie, das wäre kein Problem, man müsse dann eben die Preise erhöhen, dann passt das schon wieder :schiel
Deine Sicht zu Sturköpfigkeit werde ich mir in Erinnerung rufen, wenn sie mich damit demnächst mal wieder so zur Weißglut treibt, dass ich sie am liebsten zur Adoption freigeben würde. :whatever Aber im Ernst: Ihre Willensstärke möchte ich ihr schon erhalten und mag die auch nicht brechen. Sie nutzt diese Eigenschaft nur noch zu wenig für ihre Zwecke und dreht sich dann selber in eine Spirale, aus der sie dann nicht mehr aus eigener Kraft herauskommt. Dafür nimmt sie dann sogar Nachteile in Kauf, also völlig paradox. Ich will sie aber auch nicht einfach machen lassen, denn sie soll schon merken, dass man i. d. R. etwas dafür tun muss, um ein Ziel zu erreichen.
Ich fahre in 2 Wochen mit ihr zu Mutter-Kind-Kur - wir werden dann viel Zeit füreinander haben und ich werde mal austesten, auf welche Entspannungs- und Achtsamkeitsmaßnahmen sie und ich gut ansprechen. Für solche Dinge ist sie offen und wird dann auch ganz ruhig: Sie kann sich z. B. stundenlang den Rücken krabbeln lassen (hat allerdings sehr konkrete Vorstellungen zu Kraultechnik bzw. Fingerstellung :whatever). Und wenn dazu dann noch Geschichten erzählt werden aus Zeiten als sie klein oder ich Kind war, dann ist das für sie das Höchste überhaupt. Dann ist sie relaxed wie ein schnurrendes Kätzchen - bis wir fertig sind, dann schmeißt sie den Motor wieder an und gibt Vollgas.
Meine Grundangst rührt vermutlich daher, dass ich erkannt habe, dass meine Tochter mir in vielem sehr ähnlich ist. Für viele Außenstehende ist das, was ich erreicht habe, vermutlich erstrebenswert und toll, aber ich bin in wesentlichen Punkten nicht glücklich bzw. unzufrieden. Auf der einen Seite weiß ich durch diese Ähnlichkeit zwar, was ich bei ihr keinesfalls tun sollte, da es ihre Haltung nicht zum Guten verändern würde. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, was passieren kann, wenn ich sie nicht dabei unterstütze, ihren Weg zu finden. Ich muss dazu nur mein Leben reflektieren, das mich zu einer Stelle geführt hat, an die ich niemals wollte, in der ich micht nicht wohlfühle, von der ich aber nicht wegkomme - aus den verschiedensten Gründen.
Für meine Tochter wünsche ich mir etwas, womit sie glücklich wird. Ich möchte ihr durch eine gute Schulbildung eine Wahlfreiheit erhalten; ihr aufzeigen, was ich an Fähigkeiten an ihr wahrgenommen habe, wo ich ihre Stärken sehe und das dann in Relation setzen zu ihren Wünschen. Dann würde ich gerne gemeinsam mit ihr kritisch reflektieren, welche Wahl gut, welche wohl eher schlecht für sie wäre, um sie dann später selber und allein entscheiden zu lassen (ich hoffe, ich krieg das dann hin :hihihi). Genauso hätte ich es mir jedenfalls von meinen Eltern gewünscht, wurde damit jedoch allein gelassen oder schlimmer noch, mir wurde eine Entscheidung regelrecht aufgezwungen, die mich zwar zu wirtschaftlicher Sicherheit führte, die aber überhaupt nicht zu meinem Naturell und meinen Wünschen passte. Ich bin ein Kind von Kriegskindern - und diese Erfahrungen hatten immensen Einfluss auf das Verhalten und die Entscheidungen meiner Eltern. Mittlerweile kann ich das verstehen und auch ein Stückweit verzeihen, nützen tut es mir aber nichts mehr.Und aus diesem Grund möchte ich auch nicht mit meiner Schulzeit abschließen, sondern analysieren, was hätte anders/besser laufen können und wie. Und genau das möchte ich meiner Tochter dann vermitteln. Bei meiner, nein, für meine Tochter möchte ich es besser machen.
Warm regards,
Kirsten