Original von Coleman
Offener Brief von Opfer-Eltern aus Winnenden
- das Mindestalter für den Zugang zu Schusswaffen sollte deutlich angehoben werden (nicht mitten in die Pubertät!)
- auch mir ist nicht klar, wozu eigentlich Sportschützen automatische und Schnellfeuerwaffen mit grossem Kaliber und mit nahezu unbegrenzter Menge an Munition haben müssen - geschweige denn sie zuhause aufbewahren
- die Verletzung der waffenrechtlichen Vorschriften wird nicht konsequent genug verfolgt
- über eine (freiwillige?) Reduzierung der Gewaltdarstellungen im Fernsehen liesse sich durchaus diskutieren. Es wurde ja sogar schon über eine Quote deutschsprachiger Musikstücke im Radio diskutiert - warum dann nicht über ein ausgewogeneres Verhältnis zur Gewaltdarstellung!?
- Spiele, bei denen man möglichst realistisch auf Menschen schiesst, braucht die Welt nicht (meinetwegen soll das Militär damit seine Angehörigen ausbilden). Killerspiele schaffen keine Amokläufer. Aber sie verhindern auch keine, und ich persönlich glaube, dass sie helfen können, die Hemmschwelle zu senken, und den "Ernstfall" zu trainieren. Geschicklichkeit, Geschwindigkeit, Reaktionsvermögen lassen sich auch mit anderen Szenarien üben.
es erstaunt mich, dass es überhaupt möglich ist, als Jugendlicher an Schusswaffen zu kommen. Hier geht es wohl um die "Nachwuchsförderung" für Sportschützenvereine...
von der Lobby der Sportschützen habe ich zur dezentralen Lagerung der Waffen allerdings ein gutes Argument gehört: Würden die Waffen aller Vereinsmitglieder zentral - höchstwahrscheinlich im Vereinsheim - gebunkert werden, könnten so gleich enorm große Mengen von Waffen erbeutet werden. Dass solche Vereinsheime (die ja meist nachts auch leerstehen) dann sehr schnell zu Einbruchszielen werden würden, liegt ebenfalls auf der Hand. Es wäre allerdings angemessen, wenn es nicht mehr erlaubt wäre, Munition privat aufzubewahren. Diese könnte bequem in einem Tresor im Vereinsheim gebunkert werden, und schon sind die zu Hause aufbewahrten Waffen auch "unbrauchbar".
Die Verfolgung der Verstöße gegen die Waffengesetze konsequenter zu verfolgen, würde wohl viel Geld kosten. Außerdem meine ich, dass du es sogar warst, der hier schon geschrieben hatte, dass Kontrollen nur auf freiwilliger Basis erfolgen können - ein "Eindringen" um sich von der ordnungsgemäßen Lagerung zu überzeugen, würde einen Durchsuchungsbefehl voraussetzen, der ohne entsprechendes Verdachtsmoment wohl nicht zu bekommen ist (was ich jetzt aus Bürgerrechtssicht auch richtig so finde)
Meiner Meinung nach ist die Gewalt im TV gar nicht das Problem. Zum einen sind Filme mit Gewaltinhalten meist schon sehr stark geschnitten und/oder werden entsprechend spät ausgestrahlt. Zum anderen werden die brutalsten Filme überhaupt nicht ausgestrahlt.
Wenn überhaupt sind es aber diese Filme, um die man sich Gedanken machen müsste. Aber da wird schon unglaublich viel zensiert.
Ich habe mal in einer Videothek gearbeitet und habe die Indexlisten gesehen, fette Bücher sind das, voll mit Titeln von Spielen, Filmen und Büchern, von deren Existenz die meisten Deutschen nichts ahnen. Nach dieser Lektüre kommt man ins Grübeln, ob das hier wirklich ein freies Land mit mündigen Bürgern ist...
Absurderweise bekommt man im benachbarten deutschsprachigen Ausland diese Dinge jedoch nahezu problemlos - heute noch einfacher wegen des Internets.
Davon abgesehen ist es nach wie vor die Aufgabe der Eltern, den Film-Konsum ihrer Kinder zu überwachen. Dafür gibt es genug Möglichkeiten auch in Abwesenheit, wie z.B. Sperrgeräte, Passwortschutz etc.
Aber wenn ich dann sehe, dass Eltern, deren Kinder nicht in die Videothek dürfen, mit Notizzetteln ausgerüstet hereinkommen und brav die Zombie- und Metzelfilme ausleihen, die ihre Sprösslinge "bestellt" haben, dann fällt mir wirklich gar nichts mehr ein.
Die Spiele sind der perfekte Sündenbock. Klar kann man sich darüber streiten, ob die Welt sie braucht. Was die Welt jedenfalls nicht braucht, sind "Experten", die sich darüber ein Urteil anmaßen, ohne die Spiele mal selbst gespielt zu haben.
Ich könnte niemals im realen Leben eine Waffe auf ein lebendes Ziel abfeuern. Auch auf unbewegliche Ziele habe ich noch nie geschossen, nicht mal auf dem Jahrmarkt auf diese Scheiben oder Luftballons. Als jemand einmal eine echte Waffe auf mich gerichtet hat, hatte ich Todesangst.
Aber am PC hab ich wohl schon tausende von Gegnern gekillt, ob nun mit Feuerwaffen, Schwertern oder Magie. Es macht mir nichts, weil es nicht echt ist. Ich füge meinen Gegnern dabei nicht wirklich Schmerz und Leid zu. Sie müssen einen Moment "aussetzen" und das ist alles. Danach stehen sie wieder auf. Ich stumpfe deshalb nicht gegen echtes Leid ab, ich kann das überhaupt nur tun, weil ich weiß, dass es nicht echt ist.
Aber mal davon völlig abgesehen ist das Killerspielverbot in Deutschland komplett nutzlos. Schön, wenn eine Kaufhauskette den Verkauf boykottiert. Die kleinen, unabhängigen Einzelhändler freuts...aber nicht nur deshalb ist das Verbot komplett nutzlos. Ich kenn mich weiß Gott nicht sonderlich gut im Netz aus, aber ich wüsste auf Anhieb, wie ich jedes x-beliebige Spiel als kostenlose, gecrackte Version organisieren könnte, wenn ich wollte (würde ich natürlich nie tun... :nanana)
Wenn ich das weiß, dann weiß das jeder 16-jährige, der sich für PC-Spiele interessiert, mit Sicherheit auch. Spielt er es halt auf englisch, na und? Wozu lernt man das in der Schule...
Nach Erfurt hat sich nichts geändert und jetzt nach Winnenden wird sich auch nichts ändern. Weil niemand dahin sieht, wo man jetzt nicht hinsehen darf. Weil die Angehörigen der Opfer durchdrehen würden, wenn man ihnen damit jetzt indirekt den Vorwurf machen würde, dass ihre Kinder "selbst schuld" gewesen sein könnten.
Denkt an eure Schulzeit, und erinnert euch. Vielleicht wart ihr sogar selber Außenseiter.
Ich weiß jedenfalls aus meiner Schulzeit, was für furchtbare Dinge Kinder Kindern antun können. Ich musste gemessen am Leid anderer nur Kleinigkeiten erleben, aber ich weiß von einem Mitschüler, dass man seinen Kopf gegen ein Waschbecken geschlagen hat, und dass man ihm in seine Limoflaschen gepinkelt hat und dass er das dann trinken musste. Das einzige "Verbrechen", das dieser Junge begangen hatte, um während der gesamten Schulzeit gepeinigt zu werden, war seine Schultasche (ein metallener Aktenkoffer), dass er sein Getränk immer aus einer fellbezogenen Feldflasche getrunken hat, und dass er so gut wie kein Wort gesprochen hat. Nach seinem Charakter gefragt, hätte wohl jeder geantwortet:
Ruhig. Unauffällig. Ich kannte ihn kaum...
Und wohlgemerkt, das war ein Gymnasium mit sehr gutem Ruf, nur Kinder aus "gutem Hause", minimaler Ausländeranteil, keine "Banden"; keine harten Drogen usw, und zudem noch gut 15 Jahre her.
Wenn es damals an einem solchen Ort schon so zugehen konnte, dann übersteigt es meine Phantasie, mir auszumalen, was heute wohl an manchen Schulen abgehen mag.
Früher sind diese Kinder allein abgetreten, wenn sie es nicht mehr ausgehalten haben. Aber eines Tages kam einer auf die Idee, noch ein paar von seinen Peinigern mitzunehmen. Er hatte den Zugang zu Waffen, so dass er diesen "Traum", wie er seinen Selbstmord inszenieren wollte, auch umsetzen konnte.
Mit einem großen Knall - damit alle wissen, wie sehr er gelitten hat - sie reden davon, eine Lektion zu erteilen. Es geht um Rache, und um das ins maßlose übersteigerte Bedürfnis, endlich von anderen wahrgenommen zu werden.
"
Das können sie nicht mehr ignorieren!".
Rache - wofür? Das ist die Frage, die sich niemand stellt.
In unserer Gesellschaft ist es absolut tabu, sich noch laut Gedanken machen zu dürfen, ob ein Opfer nicht auch zuerst mal ein Täter gewesen ist, bis sein eigenes Opfer aufstand und zurückschlug.
Tim K. hat nicht gewartet, bis er 30, 40 Jahre alt wurde, ehe er seinen Hass auf seine Mitmenschen in Gewalttaten auslebte.
Tim K und die anderen jugendlichen Amokläufer sind für mich nichts anderes als jeder andere Serienkiller oder Massenmörder, wie man sie nun auch nennen mag - nur dass die schlimme Kindheit noch nicht vorbei war, ehe sie ihre Gewaltphantasien in die Tat umsetzten.
Hat jemals jemand gefragt, welche PC-Spiele bei Serienkillern auf der Platte sind? Nein, da wird nach den Motiven in der Kindheit und Jugend geforstet. Und man wird immer fündig.
Ich behaupte, in diesem Augenblick sitzen ungefähr 1000 Kinder einsam in ihren Zimmern, und denken über den Tod nach.
Und unter ihnen muss nur eines sein, das Zugang zu funktionsfähigen Waffen hat. Das sich dann sagt: Hey, so wie der Typ es gemacht hat...mach ich es auch.
Der Gedanke, beim Suizid auch noch Rache zu üben (vor deren Vergeltung man sich dann wiederum nicht fürchten braucht, weil man dann ja tot ist), der ist vor ein paar Jahren in diese Welt gekommen, und der lässt sich nicht mehr durch eine schärfere FSK oder USK wegzensieren.
Es wird wieder geschehen, weil es schon einmal geschehen ist.
Dass ein einmal gedachter Gedanke nicht mehr auszurotten ist, wusste schon Dürrenmatt.
Wenn sich wirklich etwas ändern soll, dann muss an dem Punkt angesetzt werden, wo Schüler ihre Mitschüler dissen und quälen. In jeder Klasse ist "dieser eine da". Der ruhige, unauffällige. Den man kaum kennt. Der nie auf ne Party eingeladen werden würde. Über den sich "die anderen" manchmal mehr oder weniger derbe lustig machen. Und das muss aufhören.
Es kann schon genügen, dass ein Mitschüler diesem Außenseiter eines Morgens ein freundliches Lächeln schenkt und fragt: "Hi, wie gehts dir?"
Darüber sollten Eltern und Lehrer mit den Kindern und Jugendlichen reden. Die Schüler müssen lernen, solche Außenseiter wenn schon nicht zu integrieren, dann doch wenigstens zu respektieren. Oder zumindest nicht mehr wegzusehen, wenn sie mitbekommen, wie Mitschüler gequält werden.
Ich persönlich schäme mich heute noch dafür, dass ich bei meinem Mitschüler damals weggesehen habe.
Und ich bin froh, dass der offenbar keinen Zugang zu Waffen gehabt hat.