Ich bin zwar in diesem Forum recht neu, mit der Thematik aber nicht.
Mein Sohn ist mittlerweile zwölf, ADS diagnostiziert, anstrengend und doch auch ruhig, schwierig, dennoch liebenswert, kurzum, jedes Elternteil eines ADS Kindes weiss, was ich meine.
Auch ich habe lange gegen Medikamente gekämpft, war absolut dagegen, bin aber durch lange Gespräche dazu gekommen, dass uns in unserer Situation keine andere Wahl bleibt, als auf eine solche "Krücke" zurückzugreifen.
Jeder hier weiss, welche Odysseen man hinter sich hat. Untersuchungen, Beratungsstellen, Psychologen, Selbstkritik, Verzweiflung, enttäuschte Hoffnungen, immer wieder von vorne, wächst sich aus....etc....
Und immer wieder dieses Gefühl, ich habe noch nicht wirklich einen Platz, eine Stelle, einen Fachmann gefunden, bei dem ich mich ohne wenn und aber rundherum wohl und gut aufgehoben fühle.
Mein Sohn besucht seit den Sommerferien die 7. Klasse einer Realschule. Wir hatten es also geschafft, ihn durch sechs lange Schuljahre OHNE Medikamenteneinwirkung zu bringen. Aber Schule wird nicht einfacher und für unsere Kinder erst recht nicht. Haben sie in der Grundschule noch hauptsächlich einen Lehrer, der mit ihnen arbeitet, so sind es in der weiterführenden Schule mittlerweile ein Lehrer pro Fach. Und jeder geht anders mit den Kindern um. Ein Horror für unsere Kinder, sich dort noch zurechtzufinden und sich immer wieder der neuen Situation anzupassen. Und wer kennt es nicht, das Mobbing anderer Schüler, welches alles nur noch mehr eskalieren lässt. Jedenfalls war meine Schule soweit, dass sie meinen Sohn trotz ständiger Gespräche mit mir nicht mehr beschulen wollte und der Ansicht war, wenn man mein Kind aus der Klasse entfernt, dann würde sich die insgesamt unruhige Klassensituation verbessern. Leider sitzen Schulen hier am längeren Hebel. Und egal wie gut man die Situation zuhause im Griff hat, in der Schule stellt es sich immer völlig anders dar.
Ich für uns hatte das Glück, eine Praxis zu finden (an dieser Stelle recht herzlichen Dank an Frau Heidorn), deren Gesamtkonzept mich so überzeugt hat, dass ich nun meinen Sohn ab nächster Woche auf Medis einstellen lassen werde. Um sie als Hilfe, als Krücke zu sehen, die wir in unserer Situation brauchen, um die damit verbundene Verhaltenstherapie erfolgreich machen zu können. Um meinem Sohn einen "normalen" (aber wer definiert schon "normal") Alltag geben zu können.
Mein Sohn ist sehr liebevoll, hilfsbereit und jederzeit offen anderen gegenüber. Eigentlich mag er jeden. Aber durch seine Krankheit kommen diese Charaktereigenschaften nicht so zum tragen, wie man sie in stilleren Stunden erlebt. Und ich bin der festen Überzeugung, dass vorhandene Charaktereigenschaften durch die Gabe des Medikamentes mehr zum Vorschein kommen als vorher. Für mich heisst das, dass sich mein Sohn nicht wirklich verändern wird, obwohl es garantiert für viele diesen Eindruck erwecken wird.
Wie ist es denn mit jemanden, der eine Brille braucht? Er kann hinterher besser sehen und lesen und wird dadurch vielleicht selbstbewusster, aber er verändert sich nicht wirklich. Nur schon vorhandenes kommt deutlicher zum tragen!
Und wenn unsere Kinder durch die Gabe von Medis eine Zeitlang traurig, gar depressiv werden, liegt es vielleicht auch daran, dass sie nun voll erkennen, was ihnen so gefehlt hat, was alles gewesen ist, wie schwer sie es hatten und immer wieder haben werden?
Dennoch ist für mich die bevorstehende Einstellung auf Medis nicht leicht, ich könnte heulen, dass ich sie meinem Sohn verpassen muss. Aber ich weiss auch, dass sie nur eine Hilfe sind, die eigentliche Arbeit mit ihm immer weiter geht und diese den entscheidenden Einfluss auf sein Leben hat. Nicht die Medis!!!
Kurzum, bei mir stimmte also alles drumherum, die Situation, die Verzweiflung, der Stillstand, und die gute Praxis, die mir wieder Hoffnung gibt. Und all das zusammen hat mich aus dem Bauch und vom Kopf her entscheiden lassen: Bei uns geht es nicht mehr ohne, sonst sitzt meine Kind mit ADS und einer Teilhochbegabung auf der Sonderschule E, wo er absolut nicht hingehört!
Mein Sohn ist übrigens äusserst froh darüber, dass er Hilfe bekommt. Denn so fröhlich er auch immer ist, die ganze Situation belastet ihn sehr. Und wenn mein Kind sich damit wohlfühlt, dann war es für mich die richtige Entscheidung.
Dennoch muss natürlich jeder für sich selber entscheiden. Und jeder, der es schafft, diesen steinigen Weg ohne Medis zu gehen, dem zolle ich hohen Respekt! Respekt vor jedem einzelnen Tag, in dem er es ohne schafft und dabei selber nicht untergeht! Denn wir müssen immer wieder dafür sorgen, dass es uns auch gut geht, sonst können wir für unsere Kinder nicht so dasein, wie sie uns brauchen!!!