Hallo,
...und ich folge dann mal dem Gestank halbverrotteter Bits und Bytes und sage: Die Küchenpsychologie sollte man am Besten nicht mal in der Küche
beschwören, denn dafür ist das Thema zu komplex. Niemand prügelt allein, weil er oder sie es von seinen oder ihren Eltern so gelernt hat, auch wenn Sprüche wie dieser gerne zur Entlastung angeführt werden (nachdem die Kids vor dem Jugendgericht ihre harte Kindheit beschworen haben).
In der Tat allerdings ist eine solche Tat ganz und gar nicht auf eine einzige Ursache zurück zu führen - um diese heraus zu finden, muss man sich zum einen die gesellschaftliche und nationale Herkunft der Protagonisten eines Falles, und die Situation der beteiligten Menschen anschauen, denn all' dies spielt bei der Klärung der Frage nach den Ursachen eine Rolle: Es gibt keine Erklärung, die auf alle zutrifft.
Zunächst einmal waren Körperstrafen, teilweise bis in das 20. Jahrhundert hinein, in westlichen Ländern weit verbreitete Mittel von Kindererziehung und Strafvollzug. So wurde bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein das Prügeln von Kindern als pädagogisch wertvoll angesehen, bis das Aufkommen der modernen Pädagogik diesen Gedanken recht schnell auf den Sondermüll der Geistesgeschichte beförderte: Zu prügeln war plötzlich nicht mehr legitim, außer in Großbritanniens Schulen, wo noch bis zum Ende der 80er Jahre legal in den Schulen geprügelt wurde, wenn auch in engen Grenzen. In Gefängnissen hingegen wurden weiterhin Auspeitschungen vorgenommen, bis der Untergang des Dritten Reiches dem in Deutschland 1945 und die Bürgerrechtsbewegung dem in den USA 1966 ein Ende bereitete: Man ging davon aus, dass die harten Jungs es anders nicht lernen würden, und das Verbot solcher Strafen sorgte bei einigen, vorsichtig gesagt, für Enttäuschung, die je nach dem subjektiven Unsicherheitsempfindungen der Bevölkerungen mal ab, mal zunimmt.
Mütter, die einen Kochlöffel zweckentfremdeten, konnten sich also lange Zeit, wenn nicht für andere, dann wenigstens für sich selbst, auf einen vorherrschenden Geist berufen, der eben dachte, dass so ein harter Junge, so ein hartes Mädchen es anders nicht lernt. Und dennoch war und ist die eigentliche Ursache eine ganz andere, und der Erziehungsgedanke nur vorgeschoben: Man wusste sich nicht anders zu helfen. Man war überfordert und regierte die Kinder deshalb mit dem Kochlöffel, der übrigens seine Funktion erhielt, weil er bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein in vielen Haushalten das einzig solide Gerät war, von dem man ausgehen konnte, dass es keine schwer wiegenden Verletzungen hervor ruft.
Besonders auffällig wurde das in Deutschland in den Nachkriegsjahren: Der Krieg hatte eine Generation geschaffen, die weitgehend ohne Vater war, und die mit Müttern allein gelassen war, die alles allein machen musste, und damit oft heftigst überfordert und zudem durch den Verlust oder die Abwesenheit ihrer Männer, durch die Kriegserfahrungen zutiefst traumatisiert waren. Der Griff zum Kochlöffel war die Konsequenz, die aus dieser Überforderung, und den Aggressionen, die aus der Armut, der Einsamkeit, der Sprachlosigkeit, der Hoffnungslosigkeit dieser Zeit herankeimten: Die Frauen prügelten, weil sie der hungrigen, entwurzelten Kinder nicht anders Herr wurden - was die Kinder nur weiter traumatisierte und diese Generation spaltete: Die einen rebellierten auf den Straßen. Die anderen entwickelten den Gedanken, dass aus ihren eigenen Kindern mal was besseres werden solle, und setzten das mit Gewalt durch. Die Begründung immer wieder: "Mir hat es ja auch nicht geschadet". Doch auch hier wieder war die eigene Ursache für die Prügel: Überforderung. Und Aggression darüber, dass die Kids die Vorstellungen der Eltern nicht teilten. Es war gerade dies, dass die Entwicklung des anderes Extrems der antiauthoritären Erziehung förderte - diese Generation wollte etwas völlig Neues für ihre Kinder.
Niemand prügelt, weil er glaubt, dass müsse so sein, weil er oder sie seine Erfahrungen aus dem eigenen Elternhaus weiter gibt - mehr als 100 Jahre pädagogischer Entwicklung können an keinem spurlos vorüber gegangen sein. Zu sagen, dass Mütter in erster Linie ihre eigenen Erfahrungen weiter geben würde auch bedeuten, dass Mütter keinen Einfluss auf die Art und Weise haben, mit der sie ihre Kinder erziehen, weil sie ja nur Erfahrungen aus dem Elternhaus übernehmen, womit die Pädagogik ihren Sinn verloren hätte. Es impliziert, dass alle Frauen, die Opfer geworden sind, automatisch zum Täter werden.
Es gibt solche Fälle, ja, aber sie sind nicht die Regel. Sie zu erkennen und zu behandeln ist allerdings nicht Aufgabe der Küchenpsychologie, denn dafür sind sie zu komplex und ernst.
Viele Grüße,
Ariel