Ilka, ich glaube, dass du sowohl das französische als auch das deutsche Modell falsch bzw. verkürzt interpretierst.
Erstens gibt es überhaupt keine Veranlassung, das französische Modell zu beschönigen. Siehe dazu folgenden sehr interessanten Artikel eines deutschen Journalisten, der mit seiner Familie in Frankreich lebt:
http://www.taz.de/1/zukunft/wissen/artikel/1/paradies-mit-strengem-lehrplan/
Und ein bewegender Filmausschnitt:
http://www.youtube.com/watch?v=-uga6nTDmww
DAS ist nicht MEINE Vorstellung von Gleichberechtigung! Gleichberechtigung heißt für mich nicht, dass die Mütter genauso abwesend sein sollen, wie es die Väter stets waren. Da haben sich weder die Mänenr noch die Frauen emanzipiert sondern das
System hat dafür gesorgt, dass auch die Frauen die patriarchale Männerrolle übernehmen können. Genauso unkritisch, wie es die Männer immer getan haben. DAS kann man allerdings auch, wenn man als Mädchen nur in rosa Miniröckchen herumstolziert ist, du hast Recht, da gibt es keinen Widerspruch (aber auch nicht den Zusammenhang, den du kreierst). DARUM geht es mir aber auch nicht, das ist nicht mein Ziel bei dem ganzen Gender-Thema.
Zweitens, was unsere Gesellschaft betrifft: Der Grund, warum das mit der Gleichberechtigung noch nicht funktioniert, ist mMn nicht, dass das mit der geschlechtsneutralen Erziehung die falsche Lösung wäre. Der Grund ist, dass de facto
nie wirklich geschlechtsneutral erzogen wurde! Es gibt Studien, die zeigen, dass schon Babys
unbewusst anders behandelt werden, je nach Geschlecht. Auch ich kann nicht aus meiner Haut, auch ich erziehe nicht geschlechtsneutral, aber mir ist das wenigstens bewusst und ich arbeite daran. Andere erziehen noch viel, viel geschlechtsspezifischer und reflektieren es nie.
Das Märchen, dass die geschlechtsneutrale Erziehung gescheitert ist, ist - ein Märchen. Denn es gab NIE eine geschlechtsneutrale Erziehung, in zwingend logischer Folge konnte sie auch nie scheitern. Wir sind alle im Patriarchat aufgewachsen und zutiefst in unserem Denken und Fühlen davon beeinflusst, so sehr, dass vieles sich natürlich anfühlt (und mit tw. haarsträubenden Biologismen argumentiert wird), was in Wirklichkeit alles andere als natürlich ist. Und wir geben es unbewusst an unsere Kinder weiter.
Mädchen sind, um wieder mal ein extrabanales Beispiel zu bringen, bitteschön NICHT dazu geboren, auf Rosa zu stehen. Erstens, wie schon oben ausgeführt, war Rosa gar nicht immer die Mädchenfarbe in unserer Kultur. Zweitens, ich bin ein Kind der 80er und in den 80ern hatte kaum je ein Mädchen etwas Rosanes an, Rosa war nicht "in". Wir hatten alle keine "rosa" Phase und sind dennoch Frauen geworden. ;-) Der Grund, warum heute fast alle Mädchen auf Rosa abfahren, ist, weil sie von Geburt an daraufhin konditioniert werden. Schau mal in die Mädchenabteilung in IRGENDEINEM Kleidungsgeschäft. Schau mal in die Spielzeuggeschäfte. Alles rosa. Kinder mögen das, was sie kennen, das ist ein alter Hut. Und hier gibt es mittlerweile schon lang eine eingefahrene Dynamik, eine Wechselwirkung zwischen Nachfrage und Angebot - wobei ganz klar irgendwann das Angebot der auslösende Faktor gewesen sein muss und nicht die Nachfrage! Und neuerdings entblöden sich manche BiologistInnen nicht, so Thesen aufzustellen wie: Frauen und Mädchen würden besonders auf Rosa und Rot stehen, weil sie in der Steinzeit immer rote
Beeren gesammelt haben. Bitteschön, ich wusste nicht, dass die Steinzeit irgendwann in den 1990ern stattgefunden hat...
Du schreibst, das Selbstverständnis definiert sich schon sehr früh über das Geschlecht. Dazu möchte ich noch am Rande bemerken, dass meine Tochter erst mit drei gemerkt hat, dass sie ein Mädchen ist, weil wir es ihr schlicht nicht gesagt haben (wozu auch, geschlechtsreif ist sie ja noch lange nicht ;-)). Und wenn sie es nicht im Kindergarten gelernt hätte und wenn es nicht durch die Geburt der kleinen Schwester ein Thema gewesen wäre, sie wüsste es - da bin ich überzeugt - bis heute noch nicht. Eine soziale Relevanz hat das Thema ein bissl gekriegt, seit sie in die große Gruppe im Kindergarten geht, sprich seit einem knappen Monat. Denn dort spielen die Kinder schon stark nach Geschlecht getrennt - denn die anderen Kinder haben ja schon lange gelernt, wie ein Bub zu sein hat und wie ein Mädchen zu sein hat. Ich sehe ganz deutlich, dass alle Geschlechtsunterscheidungen, die meine Tochter jetzt schön langsam, aber sicher übernimmt, gesellschaftlich bedingt sind und nicht etwa biologisch.