Hallo Armenius,
selbstverständlich schreibe ich weiter. Kommunikation ist in jedem Fall produktiv. Ich war nur ein paar Tage im Urlaub und kann daher erst jetzt antworten, sorry.
Ja, ich fürchte, eine gewisse Aggressivität schwingt in meinem letzten Posting in diesem Thread mit. Alternativ hätte ich auch in den Bildschirm boxen oder mich unter falschem Namen anmelden können. Für mich ist Zynismus das Mittel der Wahl, wenn mir etwas tierisch auf die Nerven geht. Sicher genau so verachtenswert wie andere verbale Hiebe, aber auch wenn wir alle wissen, wie gute Gespräche verlaufen sollten, so ist man manchmal doch so wütend, dass Konstruktivität nur als unliebsame Hürde empfunden wird.
Ich will dir sagen, was mich wütend macht: Es ist ein Grundtenor, der sich auch in deiner Einschätzung deiner Chatpartnerin spiegelt. Sicher, wie schon oft betont wurde, hier drückt jeder nur seine persönliche Meinung aus und schildert seine ureigene Sicht. Da flüchtet eine Familie vor einer hartnäckigen lästigen Verehrerin, da wird die Geliebte mit harten Worten beschimpft und als kalt abgestempelt, da wird geweint und geklagt, weil man verlassen wird… Alles bedauerliche Geschichten, und ich bin froh, dass es hier genug warmherzige, mitleidige Leute gibt, die das tun, was erwartet wird: Trösten und Mut zusprechen.
Mir geht die Fähigkeit, mich in die Gedankenwelt eines Menschen einzufühlen, aber ab, wenn ich den Eindruck habe, da sieht sich jemand als Fixstern. Das sind mitunter Leute, die in anderen Postings durchaus beweisen, dass sie über den nötigen IQ und EQ verfügen, aber wenn sie ihre eigene Qual zum Ausdruck bringen, geben sie sich nicht die Mühe, über den Tellerrand hinauszublicken. Ich sage extra: geben sich nicht die Mühe, weil ich glaube, dass jeder Mensch dazu fähig ist.
Bemerkenswert klar hast du deine Situation mit deiner Ehefrau und deiner Geliebten geschildert, bis zu dem Punkt, wo du zum Ausdruck bringst, dass sie dich für unersetzbar hält. Du wirst hier keine Lösung für dein Problem finden. Du kannst dich austauschen und Gleichgesinnte treffen, aber es wird sich für dich nichts ändern. Das schaffst du nur im Gespräch mit deiner Frau und mit deiner Geliebten. Nur sie können dir sagen, was in ihnen vorgeht und was sie für dich empfinden. Vielleicht wärst du überrascht, was du erfahren würdest, wenn du ehrlich, offen und direkt fragen würdest? Und vielleicht wärst du gezwungen, gedanklich völlig die Richtung zu wechseln. Deine Frau wirst du in- und auswendig kennen, aber die „andere“…? Bist du sicher, dass du sie einschätzen kannst? Du gehst einfach davon aus, ihre Liebe zu dir sei unsterblich. Auch wenn sie das gesagt hat, so war es ein Gefühlsausdruck, denn jeder mit klarem Kopf weiß, dass jede Liebe vergänglich ist. Die Welt ist kein Kitschroman. Vielleicht denkt und fühlt sie so wie ich und hat die Rationalität und die Emotionalität in zwei Waagschalen, und die Rationalität hat im Lauf der Zeit das absolute Schwergewicht bekommen? Geh davon aus, dass sie ein Leben außerhalb der Fixierung auf dich führt und, wenn sie klug ist, sich nicht in der Warteschleife halten lässt. Wie viel da noch an Gefühl bei ihr vorhanden ist, mag kein Außenstehender beurteilen. Ich kann dir nur als Frau mit eigener Erfahrung in dieser Beziehung sagen, dass man Gefühle wegdenken kann. Vor einem Beziehungsknoten sitze ich nicht trauernd, weinend und ohnmächtig, ich versuche auch nicht fleißig zu nesteln. Das raubt unnötig Kraft, die man in eine positive Zukunft investieren kann.
Das ist freilich nicht in jeder Lebenssituation so. Ich habe auch schon völlig absurd gefühlt, habe in jungen Jahren die Urlaubsbilder, die mein Nochmann von seiner Ex hatte, feierlich verbrannt, habe die Sekretärin, die acht Stunden mit meinem Freund zusammen sein durfte, dafür gehasst, und war eifersüchtig auf den Postboten, der meiner virtuellen Liebe die Hand schütteln durfte… Solche Gefühle kommen einen an, doch die Frage ist doch, wie viel Raum in meinem Leben gebe ich diesen Gefühlen. Dürfen sie die Waagschale nach unten drücken? Ich finde nicht. Emotionen sind nicht das einzige Potential, das zur Verfügung steht.
Nun habe ich ausufernd am Thema vorbeigequasselt, und ich merke auch beim Schreiben, dass ich dir nicht wirklich eine Hilfe sein kann. Was ich vor allen vermitteln wollte: Glaub nicht, dass dir alle – deine Frau und deine Geliebte oder weitere Frauen – bedingungslos zur Verfügung stehen. Wie bereits von anderen hier gesagt, musst du deine Entscheidung unabhängig und doch mit größtmöglicher Rücksichtnahme auf alle Beteiligten treffen. Aber selbst mit dieser Entscheidung kann es dir passieren, dass deine Frau sagt: So, nun will ich aber nicht mehr! Oder deine Geliebte. Bist du bereit, das auszuhalten? Ich wünsche es dir.
LG
AnnKathrin